Demonstration
Mit der Geduld am Ende, wütend und stets friedlich: So verlief der Luzerner Frauenstreik mit 2000 Teilnehmerinnen

Der Luzerner Frauenstreik findet eine erfolgreiche Balance zwischen Protestieren und Anprangern und dem Feiern der Diversität, des Lebens und der Frauen. Der Planungsbericht der Luzerner Regierung geht dem Frauenstreikkomitee derweil zu wenig weit.

Philipp Wolf
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2000 Frauen und einige Männer ziehen am Montag bei bestem Demonstrationswetter durch Luzern. Sie skandieren Parolen, pfeifen, klatschen, tanzen und halten eine Schweigeminute ab. Sie weisen auf Missstände hin, fordern Gleichheit. All das tun sie immer wieder ausgelassen und laut – aber stets friedlich.

Bei der Luzerner Polizei, die auch die Zahl der Demonstrationsteilnehmerinnen liefert, heisst es auf Anfrage, dass alles normal abgelaufen sei und es «keinerlei Probleme» gegeben habe. Das Fazit der Organisatorinnen fällt ebenso positiv aus. Amanda Probst vom Frauenstreikkomitee: «Wir sind mit dem Tag rundum zufrieden.» Während in Luzern 2000 Personen am Frauenstreik teilnehmen, sind es laut dem Gewerkschaftsverband Unia schweizweit 100'000.

Die Aktivistinnen starten am Montagmittag gemächlich und mit anderen Ambitionen als noch 2019 in den Luzerner Streiktag. Als sie um zwölf Uhr den Theaterplatz symbolisch in «Feministischer Streikplatz» umbenennen, sind erst ein paar Dutzend von ihnen vor Ort.

Anstatt dicht gedrängt vor der Bühne, stehen oder sitzen sie einige Meter entfernt im Schatten. Das Thermometer zeigt bereits über 20 Grad an. Die Kräfte wollen eingeteilt werden an diesem langen Streiktag.

Bild: Nadia Schärli

Yvonne Schärli, alt SP-Regierungsrätin, erinnert in einer der ersten Reden daran, dass die Frauen schon seit Jahrzehnten für mehr Gleichberechtigung protestieren. In ihrer Stimme schwingt etwas Bitterkeit mit, als sie zu den Anwesenden sagt: «Ich hätte nie gedacht, dass ich nach 40 Jahren immer noch an Kundgebungen für die gleichen Forderungen protestieren muss.»

Viel Wut und viele verschiedene Gruppen

Geduld zu haben und ja nicht zu laut, zu emanzenhaft, zu feministisch sein im Kampf für mehr Gleichberechtigung: Das hätte es über die Jahre immer wieder geheissen. Nun, so Schärli, die heute die eidgenössische Kommission für Frauenfragen präsidiert, stehe sie hier, um zu sagen:

«Es ist vorbei mit der Geduld, Entschlossenheit ist angesagt!»

Als Schärli kurz darauf am Rand des «Feministischen Streikplatzes» steht, präzisiert sie, wie es sich anfühlt, nach 40 Jahren immer noch für die gleichen Themen demonstrieren zu müssen.

Yvonne Schärli, Alt SP-Regierungsrätin

Yvonne Schärli, Alt SP-Regierungsrätin

Bild: pw

«Frauenthemen, all die Fragen rund um Gleichstellung und Frauenrechte sind gesellschaftliche Themen. Und solche Themen sind immer auch emotional, da kommt das Gefühl von ‹Geschlechterkampf› auf. Bei solchen Themen dauert es viel länger, etwas zu erreichen, als bei Sachthemen. Zudem sind wir ein Land, in dem immer noch konservative Überzeugungen vorherrschen. Diese zwei Punkte sind der Grund für die Langsamkeit des Fortschritts. Und deshalb braucht man unheimlich viel Schnauf und darf gleichzeitig nie aufgeben.»

Während die Frauen demonstrieren, veröffentlicht die Luzerner Männerregierung einen Planungsbericht zur Gleichstellung. Darin definiert sie die Ziele bis 2025, unter anderem: Förderung der wirtschaftlichen Autonomie durch faire Arbeitsbedingungen, bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben, vielfältigere Ausbildungs- und Berufsverläufe oder Vorbildfunktion wahrnehmen. Der Planungsbericht geht nun in die Vernehmlassung. In einer ersten Stellungnahme dazu schrieb das Frauenstreikkomitee, der Bericht ginge zu wenig weit. Wie war das noch einmal mit der Geduld?

Die Luzerner Grossstadträtin Maria Pilotto etwa sagt am Rande der Demonstration und ohne direkten Bezug auf den Planungsbericht, es sei durchaus verständlich, das gewisse Teile der Streikenden ein wenig die Geduld mit den Institutionen verlören. Doch müsse man dran bleiben und weiter das Gespräch suchen.

Ein Plakat am Frauenstreik in Luzern.

Ein Plakat am Frauenstreik in Luzern.

Bild: Nadia Schärli (Luzern, 14. Juni 2021)

Neben Ungeduld verspüren viele der Demonstrantinnen Wut. So etwa Noemi Grütter, die ihren Unmut auf der Bühne «des Feministischen Streikplatzes» laut und bestimmt kund tut:

Noemi Grütter, 26, Frauenrechtsexpertin.

Noemi Grütter, 26, Frauenrechtsexpertin.

Bild: pw

«Ich bin wütend über die Erhöhung des Rentenalters für Frauen. Es macht mich sehr wütend, dass die Rechtskommission des Ständerats aus weissen, alten Männern besteht und darüber entscheidet, wie die Strafgesetzgebung bei Vergewaltigung aussieht. Weiter macht mich die fehlende Solidarität gegenüber Frauen auf der Flucht wütend sowie die mangelnde Sexualaufklärung in der Schule.»

Wie divers die Demonstrantinnen und die Themen sind, welche sie wütend machen, das zeigt auch der Gang weg vom Theaterplatz in Richtung Kapellbrücke. Verschiedene Gruppen machen auf ihre Anliegen im Zusammenhang mit dem Frauenstreik aufmerksam. Parteien wie die SP, die Grünen oder die Grünliberalen sind präsent. Aber auch die Gewerkschaft im Service Public VPOD oder Initiantinnen der Pflegeinitiative.

Bild: Nadia Schärli (Luzern, 14. Juni 2021)

Generell fällt auf, das sich zahlreiche Plakatparolen auf die Pflege beziehen. Der Branche, die durch Corona in den Fokus der Öffentlichkeit gelangte, wird viel Aufmerksamkeit zuteil. Tanja Wolleb, 44 Jahre alt und diplomierte Pflegefachfrau HF, trägt massgeblich dazu bei. Auf einer Minibühne aus Europaletten steht sie am Mikrofon und spricht über die zahlreichen Missstände in ihrem Beruf. 30 Leute stehen in einem Halbkreis um sie herum, hören ihr zu und rufen immer wieder zustimmend. Viele halten dabei Unia-Flaggen in die Höhe.

Tanja Wolleb, 44, diplomierte Pflegefachfrau HF.

Tanja Wolleb, 44, diplomierte Pflegefachfrau HF.

Bild: pw

«Was in den Anfangsmonaten von Corona noch in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, gerät nun wieder in Vergessenheit. Ich bin seit fast 30 Jahren in der Pflege tätig. Wir kämpfen seit Jahrzehnten für bessere Bedingungen, aber es wird immer schlechter. Ich habe nicht wirklich das Gefühl, das man uns hört. Noch habe ich ein wenig Hoffnung, dass sich die Dinge bessern können, deshalb bin ich auch so aktiv.»

Als die Demonstrantinnen am Abend schliesslich durch das Stadtzentrum ziehen, sind sie längst viel zahlreicher als noch zur Mittagszeit. Und praktisch alle tragen sie eine Schutzmaske. Einige quatschen bei einem Bier. Viele halten Transparente und Plakate in die Luft.

Dominik Wunderli (Luzern, 14.06.2021)

Beim Mühlenplatz halten die Streikenden inne, setzen sich hin und gedenken eine Minute lang den Opfern von sexualisierter Gewalt.

Als die Schweigeminute vorbei ist, geht die Party los. Auf einem traktorgezogenen Anhänger legen zwei Frauen Musik auf. So ziehen die Demonstrantinnen, zu den wummernden Bässen tanzend, weiter durch die Stadt. Etwas Streetparade-Feeling macht sich breit am Frauenstreik.

Während die Demonstrantinnen warten, bis die Polizei einen Fahrstreifen über die Seebrücke sperrt, wird beim Schwanenplatz friedlich und laut gefeiert.

Video: Philipp Wolf

Beim Schwanenplatz und im Vögeligärtli legen die Frauen eine Pause ein um Rednerinnen zu lauschen, die anklagen und deutliche Forderungen stellen. So findet der Luzerner Frauenstreik an diesem Tag eine erfolgreiche Balance zwischen Protestieren und Anprangern und dem Feiern der Diversität, des Lebens und der Frauen.

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Bild: Dominik Wunderli (Luzern, 14.06.2021)

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Video: Tele 1