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Trotz struktureller Krise und erster Ansätze zur Mässigung hat der Verwaltungsrat Raiffeisen Schweiz vergangenes Jahr seine Vergütungen nochmals aufgestockt. Und in der Geschäftsleitung war Informatikchef Rolf Olmesdahl das am höchsten entlöhnte Mitglied, trotz der Pannen bei der Einführung des neuen Kernbankensystems.
Vor einem Jahr ging ein Aufschrei durchs Land. Damals wurde bekannt, dass sich der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz für 2017 eine Vergütung von 2,4 Millionen Franken genehmigt hatte. Das waren 700'000 Franken oder 43,5 Prozent mehr als im Jahr davor. Die Erhöhung um fast die Hälfte irritierte angesichts der Affäre um den früheren Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz, der damals wegen Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung noch in Untersuchungshaft sass. Sie irritierte auch vor dem Hintergrund, dass die Einführung des neuen Kernbankensystems schleppend verlief, begleitet von Fehlern und Pannen. Und sie irritierte, weil der Verwaltungsrat punkto Corporate Governance, konkret der Überwachung und Kontrolle von Vincenz, eine schlechte Figur abgegeben hatte.
Und nun dies: Für 2018 hat der Verwaltungsrat von Raiffeisen Schweiz eine Gesamtvergütung von gut 2,7 Millionen Franken bezogen. Das sind, berechnet man die Vergütung für 2017 gemäss den Anforderungen 2018, nochmals knapp 150'000 Franken oder 5,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Hinzu kamen Sozialleistungen zu Lasten des Arbeitgebers von 424'000 Franken, ein Plus von 29 Prozent.
Und das neuerliche Wachstum der Vergütung hätte noch höher ausfallen können, denn wie der Verwaltungsrat im Vergütungsbericht des druckfrischen Geschäftsberichts schreibt, hat er «für den Zeitraum vom 17. Juni bis 31. Dezember 2018 freiwillig eine Reduktion der Vergütungen beschlossen und die Sätze für die Vergütungselemente auf Basis des im Jahr 2016 geltenden Vergütungsreglements angewendet». Mit anderen Worten: Für den halben Juni und das ganze zweite Semester wurden jene Regeln angewendet, die auch zur Bemessung der Vergütung für 2016 gegolten hatten, also für jenes Jahr vor dem eingangs erwähnten Lohnsprung um fast die Hälfte.
Das Zurückrudern des Verwaltungsrats äussert sich darin, dass für den Zeitraum vom 17. Juni bis 31. Dezember 2018 Vergütungen von 1,26 Millionen Franken ausbezahlt wurden. Für die Periode von 1. Januar bis 16. Juni 2018 waren es noch 1,45 Millionen. Fragt sich, warum der 17. Juni als Stichtag gewählt wurde für die Reduktion der Vergütung. Der Schluss liegt nahe, dass dies mit der damaligen Rücktrittswelle aus dem Verwaltungsrat zu tun hat. Am 16. Juni traten als Folge des Versagens des Aufsichtsgremiums in der Affäre Vincenz sechs der damals noch elf Verwaltungsräte zurück. Ergo musste sich Raiffeisen mit diesen Personen nicht über die als «freiwillig» deklarierte Reduktion einigen. Weitere drei Mitglieder verabschiedeten sich am 10. November aus dem Gremium. Seither gilt der Verwaltungsrat als rundum erneuert. Raiffeisen-Sprecherin Angela Rupp sagt, der Verwaltungsrat habe eine Prüfung seiner Vergütung «bereits im Frühsommer 2018 ins Auge gefasst». Der Reduktionsentscheid sei dann nach der Delegiertenversammlung vom 16. Juni gefällt worden.
Irritierend ist auch der Blick auf die Vergütung von Johannes Rüegg-Stürm. Der HSG-Professor präsidierte den Verwaltungsrat in jener Ära, in der Vincenz nach Belieben schalten und walten konnte und das Aufsichtsgremium im vernichtenden Urteil des Wirtschaftsrechtlers Peter V. Kunz wie «ein amateurhafter KMU-Verwaltungsrat» agierte. Unter dem Druck der Affäre Vincenz trat Rüegg-Stürm am 8. März 2018 zurück. Offiziell ist sein Austritt aber auf den 16. Juni 2018 datiert. Für diese Periode, die mehrheitlich durch totales Nichtstun gekennzeichnet ist, bezog Rüegg-Stürm 260'000 Franken. Im ganzen Jahr 2017 waren es 582'000 Franken. Und der amtierende Präsident Guy Lachappelle? Er bezog für die sieben Wochen seit seines Eintritts am vergangenen 10. November 82'000 Franken.
Der Vergütungsbericht zeigt eine weitere Auffälligkeit: In der Geschäftsleitung hat vergangenes Jahr nicht der damalige Vorsitzende Patrik Gisel den höchsten Lohn bezogen, sondern Rolf Olmesdahl, Leiter des Departements IT & Services. Er bezog 1,54 Millionen Franken. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Grundgehalt, einer variablen Vergütung (gemeinhin ein Bonus) sowie «einer Antrittsentschädigung in Höhe von 448'178 Franken». Diese «Antrittsentschädigung» ist laut einer Fussnote eine «im Jahr 2015 vertraglich vereinbarte Verpflichtung». In jenem Jahr war Olmesdahl zu Raiffeisen Schweiz gestossen, nachdem er zuvor beim Versicherer Zurich vier Jahre in führenden Positionen gearbeitet hatte und davor 30 Jahre lang bei der UBS tätig gewesen war, wo er von der Banklehre aus Karriere gemacht hatte.
Hat diese «Antrittsentschädigung» für Olmesdahl damit zu tun, dass er sich damals bei seinem Weggang von der Zurich aufgeschobene Boni ans Bein streichen musste und Raiffeisen ihn nun dafür kompensiert? Dann hätte Olmesdahl diese Ausgleichszahlung aber wohl schon früher erhalten. Oder ist die knappe halbe Million quasi ein Bonus für die Einführung des Kernbankensystems? Allerdings wäre es in diesem Fall fahrlässig gewesen, schon vor drei Jahren eine Summe festzulegen. Denn das neue Kernbankensystem wurde einige Monate später eingeführt als geplant, wies Kinderkrankheiten auf wie eine fehlerhafte Berechnung von Hypothekarzinsen oder Probleme bei der Hypothekenvergabe, und es kam teurer zu stehen als budgetiert.
Auf Fragen zu Olmesdahls Bezügen sagt Raiffeisen-Sprecherin Angela Rupp, dass die Bank «keine Details zu den Arbeitsverträgen ihrer Mitarbeitenden» bekannt gebe. Das gelte auch im Fall der im Geschäftsbericht erwähnten «garantierten Boni in der Gesamthöhe von 200'000 Franken an drei Mitarbeitende». Fest steht, dass diese weder zur Geschäftsleitung zählen noch zu den weiteren Risikoträgern. Als solche bezeichnet Raiffeisen Schweiz «die Mitarbeitenden der Zentralbank mit Marktzugang und Handelsmöglichkeiten». 2018 waren dies 63 Personen. Fest steht ferner, dass Olmesdahl vergangenes Jahr nicht nur mehr verdient hat als sein Vorgesetzter Patrik Gisel, der die Bank am 9. November 2018 verlassen hat. Olmesdahl hat auch mehr bezogen als es Heinz Huber als Gisels Nachfolger als Raiffeisen-Chef tun wird: Hubers Lohn ist «neu bei 1,5 Millionen Franken gedeckelt und nur bei einer überdurchschnittlichen Zielerfüllung erreichbar», wie Raiffeisen vergangenen November publik machte.
Zusätzlich zum Lohn kommt Olmesdahl noch in den Genuss von Sozialleistungen. Demnach betragen seine Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge an die Personalvorsorge und Sozialversicherungen knapp 650'000 Franken. Gibt zusammen mit dem Lohn ein Paket von fast 2,2 Millionen. Zum Vergleich: 2017 kassierte Gisel als Lohn 1,8 Millionen, und seine Sozialleistungen betrugen 600'000 Franken, macht total 2,4 Millionen. Vincenz kam auf insgesamt 2,5 Millionen.
Zurück zum Verwaltungsrat: Dass dieser 2018 trotz der Reduktion der Vergütungen in der zweiten Jahreshälfte mehr bezog als 2017, begründet das Gremium mit strukturellen Veränderungen (es gab einen zusätzlichen, vierten Ausschuss mehr im Verwaltungsrat), Neubesetzungen (wobei das Gremium aber nie aufgebläht wurde, siehe Grafik) und einer hohen Frequenz an Verwaltungsrats- und Ausschusssitzungen. Will heissen: Wer mehr arbeitet, soll auch mehr verdienen. Konkret traf sich der Verwaltungsrat zu 31 (im Vorjahr 17) Sitzungen, und seine Ausschüsse kamen 38 (31) Mal zusammen. Davon entfielen allein 28 Sitzungen auf den Nominations- und Vergütungsausschuss. Schon 2017 hatte die Zahl der Sitzungen «substanziell» zugenommen».
Raiffeisen Schweiz scheint sich indessen bewusst zu sein, dass es betreffend Vergütung weiterer Reformen und Mässigung bedarf. So beantragt der Verwaltungsrat an der diesjährigen Delegiertenversammlung, dass die Delegierten konsultativ über den Vergütungsbericht abstimmen werden. Zudem hat der Verwaltungsrat per 1. Januar 2019 für sich ein neues Vergütungsreglement in Kraft gesetzt. Augenfälligste Neuerung: «Im Vergleich zu den letzten Jahren führt das neue Vergütungsmodell des Verwaltungsrats zu einer deutlichen Reduktion der Gesamtvergütungen des Verwaltungsrats ab 2019».
Was heisst «deutliche Reduktion» konkret? Angela Rupp spricht auf Anfrage zunächst von einer «wesentlichen Reduktion». Was das konkret in Zahlen bedeutet, sagt Rupp auch auf Nachhaken nicht. Was fest steht: Das neue Vergütungssystem sieht Pauschalen für die Grund- und Ausschussvergütung vor und schafft die bisherigen Sitzungsgelder (die pro Anzahl Sitzungen ausgerichtet wurden) und -spesen ab. Neu wird der Verwaltungsrat ausserdem seine Vergütung alle zwei Jahre überprüfen und nicht mehr wie bisher alle vier Jahre.
Der Übergang von Sitzungsgeldern zu Pauschalen torpediert also die bisherige Praxis, dass mehr Sitzungen zu mehr Geld führen. Dabei hat der Verwaltungsrat noch jede Menge Arbeit vor sich: Er muss das Verhältnis von Raiffeisen Schweiz zu deren Eigentümern, den Raiffeisenbanken, modernisieren, wobei diese mehr Mitsprache fordern und der Leistungskatalog der Zentrale zu überarbeiten und neu zu bewerten ist. Auch muss Raiffeisen Schweiz auf Geheiss der Finanzmarktaufsicht eine Änderung der Rechtsform von der Genossenschaft zur AG prüfen. Über allem schwebt weiterhin die Möglichkeit, dass die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt gegen Pierin Vincenz. Und das Versprechen, das Thomas Rauber, Präsident des Nominations- und Vergütungsauschusses abgibt: «Bessere» und «mehr Transparenz». In diesem Sinne diskutiert man laut Angela Rupp auch, im Vergütungsbericht künftig nicht nur wie bisher die Gesamtvergütung der Geschäftsleitung und die höchste Einzelvergütung offenzulegen, sondern die Löhne jedes einzelnen Geschäftsleitungsmitglieds.