Mehr als nur Zucker: Die Zuckerfabrik Frauenfeld holt aus den Rüben Pektin heraus und will dieses Gewinn bringend vermarkten

Die Zuckerrübe hat verborgene Talente. Nach Jahren der Forschungsarbeit ist es in der Zuckerfabrik Frauenfeld gelungen, das Nebenprodukt Pektin herzustellen. Ein Stoff, auf den die Hersteller von Konfitüre gewartet haben.

Roland Schäfli
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Guido Stäger, Chef der Schweizer Zucker AG, vor der neuen Pektin-Anlage in der Frauenfelder Fabrik. (Bild: Donato Caspari (13. März 2019)

Guido Stäger, Chef der Schweizer Zucker AG, vor der neuen Pektin-Anlage in der Frauenfelder Fabrik. (Bild: Donato Caspari (13. März 2019)

Die vergangene Rübenkampagne und der tiefe Zuckerpreis (siehe Zweittext weiter unten) haben der Schweizer Zucker AG (SZU) erneut die Wichtigkeit zur Diversifikation gezeigt. Die Strategie von SZU-Chef Guido Stäger: «Um den Rübenpreis stützen zu können, müssen wir weniger abhängig vom Zuckerpreis werden.» Die Produktion von Biozucker, dessen Preis stabiler ist als jener des herkömmlichen Zuckers, ist ein Geschäftsfeld, das bereits beackert wird. Biohefe aus Biomelasse ist ein weiteres interessantes Nebenprodukt. Und 2012 wurde in der Zuckerfabrik Frauenfeld erstmals über die Möglichkeit der Pektin-Gewinnung gesprochen. «Es ist so lange her, dass niemand mehr genau weiss, wer die Idee hatte», sagt Stäger. Jetzt wurde die Anlage im Beisein unserer Zeitung in Betrieb genommen.

Bei der Verarbeitung der Zuckerrübe fallen Pressschnitzel an, die als Viehfutter einen hohen Stellenwert haben und in der Schweiz ein interessantes Geschäft sind. In diesen Schnitzeln steckt aber mehr: die pflanzlichen Pektinstoffe, die in der Industrie als Emulgator und Verdickungsmittel verwendet werden. In der Konfitüren-Herstellung wird das aus Apfeltrester gewonnene Apfelpektin beigegeben, wenn Früchte wie etwa Erdbeeren selbst einen zu geringen Pektinanteil aufweisen, um eine feste Konsistenz zu erhalten. Das Verdickungsmittel, das sich aus der Zuckerrübe gewinnen lässt, wirkt emulgierend und ist durch seine verdickende Wirkung zum Beispiel in der Produktion von Salatsaucen gefragt. Noch ist kaum bekannt, dass mit Rübenpektin eine sämige Salatsauce hergestellt werden kann. Die Erfindung der SZU könnte das ändern.

Chemiker aus Sitterdorf als Entwickler

Der Sitterdorfer Chemiker Fritz Jaisli hatte die zündende Idee für die Extrahierung von Pektin aus Rübenschnitzeln. (Bild: Roland Schäfli (Frauenfeld, 1. März 2019)

Der Sitterdorfer Chemiker Fritz Jaisli hatte die zündende Idee für die Extrahierung von Pektin aus Rübenschnitzeln. (Bild: Roland Schäfli (Frauenfeld, 1. März 2019)

Dazu war die Expertise von Fritz Jaisli nötig. Der Chemiker betreibt in Sitterdorf die Nutritess AG und erhielt von der SZU den Auftrag, einen Prozess zur Extrahierung von Pektin aus Rübenschnitzeln zu entwickeln. In einem Gewerberaum in Dussnang baute Jaisli die Pilotanlage im verkleinerten Massstab von 1 zu 10 auf. «Wir fingen wirklich bei null an», erinnert sich Stäger. Ähnliche Anlagen konnten nicht kopiert werden, er wollte zudem einen kompetitiven Vorteil bei den Gestehungskosten des Pektins erzielen. Das Schweizer Patent lautet auf die Nutritess. Mit dem Übereinkommen, dass keine Mitbewerber der Schweizer Zuckerfabriken berücksichtigt werden.

Die Entwicklungskosten waren ein Faktor, warum die Herstellung von Rübenpektin nicht schon früher eruiert wurde. Bis heute hat die SZU einen einstelligen Millionenbetrag investiert. Der Weg der Evaluation beschrieb eine unregelmässige Lernkurve. «Wir kamen mehrmals an den Punkt, ob abgebrochen werden sollte», sagt Projektleiter Roland Keller. Der Verwaltungsrat stimmte jeweils trotz Unwägbarkeiten für die Weiterführung. Allein die Innovation zur Trocknung des Pektins beanspruchte eine zweijährige Lernphase. Als der Prozess evaluiert und die Qualität gesichert war, wurde auf dem Gelände in Frauenfeld die neue Produktionshalle und darin die Anlage zur industriellen Produktion errichtet, die nun Schritt für Schritt in Betrieb genommen wird. Die Rohlösung wird aus den Rübenschnitzeln extrahiert und danach in der Zentrifuge abgetrennt. Dann wird das Extrakt geklärt, gefiltert, getrocknet, gemahlen und in 20-Kilo-Gebinden verpackt.

Produktion läuft an

Die Kapazität einer Jahresproduktion von 100 Tonnen Pektin ist möglich, für dieses Jahr wird die Hälfte angestrebt. In Frauenfeld fallen während der Verarbeitungskampagne 150000 Tonnen Schnitzel an. Mit der aktuellen Anlage lässt sich aber nur ein kleiner Teil davon zur Pektingewinnung verwerten. Nimmt man den Wert des Apfelpektins von 15 Franken pro Kilo als Mass, könnte eine Jahresproduktion in Frauenfeld anderthalb Millionen Franken abwerfen.

Massenhaft Siloballen mit Pressschnitzeln auf dem Gelände der Zuckerfabrik Frauenfeld. (Bild: Reto Martin (29. Dezember 2019)

Massenhaft Siloballen mit Pressschnitzeln auf dem Gelände der Zuckerfabrik Frauenfeld. (Bild: Reto Martin (29. Dezember 2019)

Sollte die Anlage künftig durchgehend in drei Schichten laufen, würde das sechs Arbeitsplätze schaffen. Zudem braucht der Rohstoff nur ganzjährig haltbar gemacht werden. Bis es aber soweit ist, muss erst der Markt getestet werden. Der Aufbau eines spezifischen Verkaufsteams ist eine Möglichkeit. Das Geschäftsfeld ist für die Zuckerfabrik neu. Deshalb werde man diese Schritte mit Bedacht unternehmen, sagt Stäger, der sich auch für die Markteinführung die Dienste und Vertriebskanäle der Nutritess gesichert hat. Potenzielle Abnehmer könnten der Lebensmittelkonzern Hero oder die Bischofszell Nahrungsmittel AG sein. Vorerst geht es darum, Applikationen für mögliche Kunden zu entwickeln. Denn jeder Nahrungsmittelhersteller wird andere Ansprüche ans neue Produkt haben. Ob der Pektingehalt der Rüben ebenso wie deren Zuckergehalt saisonal schwankt, ist ein weiterer Erfahrungswert, der noch fehlt.

Die Zuckerrübe attraktiver machen

Die Anlage kann nebst dem Rüben- auch Apfelpektin herstellen. Es gilt als interessante Option, mit den Schweizer Apfelproduzenten zusammenzuspannen. Über Exportmärkte denkt Stäger noch nicht nach. Auf dem Weltmarkt für Pektine waren bisher amerikanische und europäische Firmen führend. Die Produktion in Frauenfeld muss langfristig wettbewerbsfähig sein. Die gute Verfügbarkeit der Rübenschnitzel könnte dabei den Ausschlag geben. Die SZU hat zur Diversifizierung ihres Kerngeschäfts weitere Projekte in der Pipeline. Wichtiger ist für ihn: Die zusätzliche Nutzung sollte die Attraktivität der Zuckerrübe für die Pflanzer steigern. Ein Pektin-Erfolg wäre positiv für den Rübenpreis.

Durchzogenes Jahr für die Zuckerbranche

Eine passable Ernte und ein höherer Umsatz, aber unverändert schwierige Rahmenbedingungen und anhaltender Druck auf die Ertragslage kennzeichnen das Geschäftsjahr 2017/18 (per Ende September) der Schweizer Zucker AG (SZU). Mit 265000 Tonnen gewöhnlichem Zucker und 6200 Tonnen Biozucker fiel die Produktion der beiden Zuckerfabriken in Frauenfeld und Aarberg durchschnittlich aus, lag aber um fast 50000 Tonnen über dem Vorjahr. Der Umsatz stieg um annähernd 9 Prozent auf gut 210 Millionen Franken. Den Rübenpflanzern wurden für ihre relativ gute Ernte Rübengelder in Höhe von 97,6 Millionen (+28 Prozent) ausbezahlt.

Nach wie vor zu kämpfen haben die SZU und ihre 240 Mitarbeitenden mit den tiefen Zuckerpreisen (siehe Grafik mit dem Weltmarktpreis). Dies gründet auf dem hohen Importdruck aus der EU. Diese hat im Herbst 2017 ihre Zuckermarktordnung aufgehoben, wodurch in der EU Produktionsquote, Exportbeschränkungen und Mindestpreise für Zuckerrüben weggefallen sind. Die Folgen sind eine Ausdehnung der Anbaufläche und eine Überproduktion, die die EU-Hersteller im Export abzustossen versuchen, was den Preisdruck weiter erhöht. Allein im vergangenen Geschäftsjahr wurde in der EU gut ein Fünftel mehr Zucker produziert als im Vorjahr, und global überstieg die Zuckerproduktion von 193 Millionen Tonnen den Verbrauch um 10 Millionen Tonnen.

Politik greift der Branche unter die Arme

Der Preisdruck macht die Sparanstrengungen der SZU zunichte, zumal die höhere Rübenmenge die Verarbeitungskosten nach oben trieb. Die SZU weist wie im Vorjahr einen Betriebsverlust von 3,1 Millionen Franken aus, und um unter dem Strich einen Gewinn von 900000 Franken ausweisen zu können, löste sie erneut Rückstellungen auf.

Immerhin hat sich der Weltmarktpreis des Zuckers seit seinem Zehnjahrestief im vergangenen August wieder etwas gelöst. Dies unter anderem, weil Brasilien enorme Mengen des Zuckerausstosses in die Ethanolproduktion verlagern will und in Europa wegen des trockenen Sommers von 2018 eine schlechtere Rübenernte erwartet wird. Zudem hat die Politik der Schweizer Zuckerbranche per Anfang Jahr unter die Arme gegriffen. So hat der Bundesrat den Grenzschutz , der zuletzt auf 20 Franken pro Tonne Zucker erodiert war, auf mindestens 70 Franken sowie die Flächenbeiträge an die Rübenpflanzer von 1800 auf 2100 Franken pro Hektare erhöht. Letzteres soll die Anbaubereitschaft stabilisieren, denn wenn noch mehr Bauern aufgeben und die Anbaufläche weiter sinkt, sieht die SZU ihre Versorgung mit Schweizer Zuckerrüben gefährdet – und damit auch die Existenz der Schweizer Zuckerindustrie. (T.G.)