Mit ihrer Vision von einer unkomplizierten Testmaschinen für Blutanalysen nahm die heute 37 Jahre alte Unternehmerin Elizabeth Holmes die amerikanische Geschäftswelt im Sturm ein. Dann stellte sich heraus, dass alles erstunken und erlogen war.
Selbst Joe Biden liess sich täuschen. Als der damalige Vizepräsident im Dezember 2014 eine Zweigstelle des Vorzeigeunternehmens Theranos besuchte, da liess Firmenchefin Elizabeth Holmes kurzerhand ein falsches Labor erstellen – weil eine Tour durch die echte Forschungsstätte nicht den gewünschten Eindruck erweckt hätte. Biden sprach nach der Visite von einem «Labor der Zukunft», und überschüttete die damals 30-jährige Holmes (geschätztes Vermögen: mehr als 4 Milliarden Dollar) mit Lob.
So ging es damals vielen Politikern, Investoren oder Branchenbeobachtern. Holmes nahm sie ein, mit ihrer Vision der 2003 gegründeten Testfirma, die versprach, dass Patientinnen und Patienten künftig nur ganz wenig Blut geben müssten, um Diagnosen zu erstellen. Kurze Zeit über galt die charismatische junge Frau mit den stechend blauen Augen und der tiefen Stimme als das Aushängeschild der amerikanischen Technologieindustrie.
Allein: Alles war erstunken und erlogen. Die angeblich revolutionären Theranos-Testmaschinen funktionierten nicht. Hinter verschlossenen Türen musste die Firma auf Maschinen der Konkurrenz zurückgreifen, um den Kunden zuverlässige Resultate zu liefern. Im Herbst 2015 publizierte der Journalist John Carreyrou in der Wirtschaftszeitung «The Wall Street Journal» den ersten einer ganze Reihe kritischer Artikel über das Unternehmen. Es folgten Zivilklagen, Ermittlungsverfahren und schliesslich der Zusammenbruch der Firma im Herbst 2018.
Drei Jahre später muss sich die einstige Vorzeigeunternehmerin nun vor Gericht verantworten. Am Dienstag beginnt an einem Bundesgericht in San Jose (Kalifornien) der mit Spannung erwartete Betrugsprozess gegen Holmes. Die Anklagebehörde wirft Holmes, die Investoren, die mehrere Hundert Millionen Dollar in das Unternehmen steckten, gezielt betrogen zu haben. Auch habe sie Patienten hinters Licht geführt, die auf korrekte Testresultate angewiesen waren.
Angeklagt wurde nicht nur Holmes, sondern auch ihr langjähriger Gefährte Ramesh «Sunny», Balwani, heute 56 Jahre alt. Beide beteuern ihre Unschuld. Aus Gerichtsdokumenten, die am Wochenende publik worden, geht allerdings hervor, dass Holmes vor Gericht ihren einstigen Partner für den Betrug verantwortlich machen wird. Balwani, der mit Holmes seit etwa 2005 verbandelt war und bei Theranos für das Tagesgeschäft verantwortlich zeichnete, soll sie emotional und sexuell missbraucht haben, behauptet Holmes. Ihr Partner habe ihr Essen, ihre Kleidung und ihren Schlaf kontrolliert und sie ständig überwacht, heisst es in Gerichtsakten. Sie könne deshalb nicht für den Betrug verantwortlich gemacht werden, weil sie unter der Kontrolle Balwanis gestanden sei. Ihr ehemaliger Partner, dem Anfang 2022 der Prozess gemacht werden soll, wies die Vorwürfe entschieden zurück.
As we predicted in Episode 1 of the podcast: Holmes is going to use the Svengali defense and try to shift all the blame to Sunny by alleging that he held her in his psychological grip. https://t.co/IaN02LACH7
— John Carreyrou (@JohnCarreyrou) August 28, 2021
Ob diese Verteidigungsstrategie den Geschworenen einleuchten wird, ist offen. Einer, der von dieser Strategie wenig hält ist der Journalist John Carreyrou. In seinem fesselnden Buch «Bad Blood» über den Theranos-Skandal, das 2019 auch auf Deutsch erschienen ist, schreibt er: «Holmes wusste genau, was sie tat und sie besass stets die Kontrolle.»