St.Gallen Symposium
«Die Nato als Versicherung» – der Ukraine-Krieg rückt das westliche Verteidigungsbündnis ins Licht der Öffentlichkeit

Welche Rolle spielt die Nato im russischen Angriffskrieg und welche Rolle spielt sie künftig? Dieser Frage gehen am St.Gallen Symposium zwei Expertinnen und ein Experte nach. Eine starke Nato halten alle für unabdingbar. Doch wünscht sich das Nichtmitgliedsland Ukraine schnellere und mehr Unterstützung im Kampf gegen den Aggressor.

Thomas Griesser Kym
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Panel über die künftige Rolle der Nato: (von rechts) die ukrainische Parlamentarierin Lisa Yasko, Benedikt Franke, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, die frühere kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović und Moderator Ali Aslan.

Panel über die künftige Rolle der Nato: (von rechts) die ukrainische Parlamentarierin Lisa Yasko, Benedikt Franke, Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, die frühere kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović und Moderator Ali Aslan.

Bild: Ralph Ribi (St.Gallen, 6. Mai 2022)
«Grossartigkeit hat nichts zu tun mit Grösse.»

Diesen Satz sagte der Friedensnobelpreisträger und damalige UNO-Generalsekretär Kofi Annan am St.Gallen Symposium 2006. Seine Rede zu schreiben, dabei hatte Benedikt Franke mitgeholfen. Jetzt, 16 Jahre später, sagt der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz:

«Grossartigkeit hat etwas zu tun mit Grösse.»

Franke sagt dies an einem Panel am 51. St.Gallen Symposium, an dem es um die künftige Rolle der Nato geht, dies vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs. Was Franke damit meint: Die Erweiterung der Nato sei nötig, und «nichts rechtfertigt, was in der Ukraine passiert». Franke spielt damit auf die Frage an, ob die Nato mit ihrer Osterweiterung Russland provoziert und möglicherweise sogar allfällige gegenteilige Versprechen an Moskau gebrochen habe.

«Total irrelevant»

Für Franke ist diese Frage «total irrelevant». Er sagt, «jedes Land hat das Recht, selber zu entscheiden, ob es in die Nato möchte oder nicht». Dabei verweist er auf die Beitrittsambitionen Finnlands und Schwedens. Dort habe der russische Angriff auf die Ukraine die Denkweise verändert und den beiden Ländern die Bedrohung aus der Nachbarschaft vor Augen geführt.

Auch in der Ukraine sei es immer populärer geworden, der Nato (und der EU) beizutreten, sagt die ukrainische Parlamentarierin Lisa Yasko:

«Doch als wir uns der Nato genähert haben, sah es so aus, als seien die Türen verschlossen.»

Was sagt dazu Kolinda Grabar-Kitarović, die frühere Präsidentin Kroatiens und einst in hoher Position für die Nato tätig? Sie bleibt unverbindlich: Jedes europäische Land könne eingeladen werden oder einen Antrag stellen auf Nato-Mitgliedschaft, aber am Ende entscheide die Nato über Aufnahme oder Nichtaufnahme.

Die Nato hat die Ukraine aufgerüstet

Laut Yasko hat die Ukraine deshalb gelernt, sich selbst zu verteidigen. Und dies mit Hilfe der Nato: Diese hat die Ukraine nach der russischen Annexion der Halbinsel Krim 2014 mit Finanzhilfen und Training massiv gestärkt, sagt Grabar-Kitarović. Diese Stärke der ukrainischen Armee, gepaart mit dem Mut der Ukrainerinnen und Ukrainer seien zwei Faktoren, die Wladimir Putin unterschätzt habe. «Und die geeinte Reaktion der Nato und der EU.»

Grabar-Kitarović sagt, «die Nato ist nicht im Krieg mit Russland und tut alles, um zu deeskalieren». Aber:

«Wir halten das Recht der Ukraine auf Selbstverteidigung hoch, mit finanzieller, humanitärer und militärischer Hilfe. Das ist legal.»

Yasko begrüsst die Unterstützung des Westens, nennt deren Timing und Ausmass aber «oft falsch». Konkret wünscht sich Yasko schnellere und mehr Hilfe, denn, trotz allen Verständnisses für die Mühlen der Bürokratie:

«Wir haben keine Zeit zum Warten.»

Der Westen müsse mehr Verbündete finden

Grabar-Kitarović sagt, die russische Invasion zeige, «dass es die Nato als Versicherung braucht». Und sie bekräftigt, die Nato werde jeden Quadratzentimeter des Nato-Gebiets verteidigen. Benedikt Franke wirft derweil den Blick über den Nato-Rand hinaus. Anfang März verurteilte die UNO-Generalversammlung den russischen Angriff auf die Ukraine mit lediglich fünf Gegenstimmen. Aber: 35 Länder, darunter etwa Indien oder Südafrika, enthielten sich der Stimme. Franke sagt:

«Es sind diese Unentschlossenen, die wir auf die Seite des Westens herüber ziehen müssen.»

Wegen des Ukraine-Kriegs wurde die Amtszeit von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg jüngst um ein Jahr verlängert. Statt wie vorgesehen Ende September 2022 tritt er erst Ende September 2023 zurück. Als mögliche Nachfolgerin wird immer wieder Kolinda Grabar-Kitarović gehandelt. Hat sie Ambitionen? Sie äussert sich diplomatisch:

«Das steht jetzt gerade nicht auf der Agenda. Lasst uns diesen Krieg stoppen.»