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Für die Tiroler Zillertalbahn baut Stadler fünf Triebzüge. Diese werden mit Wasserstoff-Brennstoffzellen bestückt. Die umweltfreundlichen Schmalspur-Fahrzeuge sollen die veraltete Dieselflotte ersetzen.
Es ist ein Auftrag, wie er nicht alle Tage hereinkommt. Und Stadler darf sich als Pionier fühlen. Die Zillertalbahn hat beim Ostschweizer Schienenfahrzeugbauer fünf Triebzüge bestellt. Darüber hinaus besteht eine Option auf drei weitere Fahrzeuge. Das Besondere: Die Züge für die Tiroler Schmalspurbahn mit einer Spurweite von 760 Millimetern werden mit Wasserstoff betrieben.
Die Zeit drängt: Der erste Zug soll bereits 2020 im Probebetrieb rollen. Ab dem Winterfahrplan 2022 will die Zillertalbahn dann als erste Schmalspurbahn der Welt mit Wasserstoff verkehren, wie Helmut Schreiner sagt, in der Geschäftsleitung zuständig für die Technik. Die neuen Stadler-Fahrzeuge sollen die Dieselflotte ersetzen, die teils noch aus den 1980er-Jahren stammt. Das Beschaffungsvolumen beträgt inklusive des Baus einer Anlage zur Herstellung des Wasserstoffs 80 Millionen Euro.
Dank der Umstellung wird die Zillertalbahn ab Ende 2022 komplett CO₂-frei fahren. Damit fällt die Emission von 2160 Tonnen des klimaschädlichen Treibhausgases weg, und die Bahn spart im Jahr 800'000 Liter Diesel, was etwa 30 Tanklastwagen entspricht. Die Energiekosten sollen sich insgesamt halbieren. Für die Passagiere bedeutet das neue Rollmaterial, dass sie künftig bequemer und schneller reisen. Die neuen Züge sollen je 250 Plätze haben, fast doppelt so viel wie die alten Kompositionen (130), und sie sollen 80 statt 70 km/h schnell sein. Die Fahrzeit auf der 32 Kilometer langen Strecke der Zillertalbahn zwischen Jenbach und Mayrhofen soll von 55 auf 45 Minuten sinken. Darüber hinaus sind beschleunigte Pendler- und Schülerzüge vorgesehen, welche die Distanz in 36 Minuten schaffen.
"Wir betreten Neuland. Doch wer in Zukunft dabei sein will, muss Visionen in die Realität umsetzen."
Franz Hörl, Aufsichtsratsvorsitzender der Zillertalbahn
Stadler will sich auf Anfrage über den Auftrag noch nicht äussern, auch nicht über die technischen Herausforderungen des Antriebs, sondern verweist auf die Zillertalbahn. Diese hat die Beschaffung Anfang März öffentlich ausgeschrieben, und kaum zweieinhalb Monate später hat Stadler den Zuschlag erhalten. Weil es sich um eine Kleinserie handelt, haben einige der potenziell interessierten Hersteller schon gar nicht mitgeboten. Die französische Alstom hat wegen fehlender Produktionskapazität abgesagt, und einem chinesischen Schienenfahrzeugbauer hat die Zillertalbahn einen Korb gegeben wegen Bedenken punkto Qualität. So hat Stadler als einziger Anbieter die Vorauswahl bestanden, wie Schreiner sagt.
Den Wasserstoff (H₂) will die Zillertalbahn in der noch zu erstellenden Produktionsanlage am Ende des Tals in Mayrhofen durch Elektrolyse erzeugen. Dabei spaltet Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff auf. Weil die zur Aufspaltung nötige Elektrizität aus Wasserkraft gewonnen wird, sprechen Fachleute von «grünem Wasserstoff». Das farb- und geruchlose Gas wird in Tanks gespeichert. Es ist damit gleichzeitig Treibstoff und Medium für einen Stromspeicher. Im Zug befinden sich Brennstoffzellen, die den Wasserstoff mit Sauerstoff wieder in Strom rückwandeln, der das Fahrzeug emissionsfrei antreibt.
Das Projekt zur Ausmusterung der Dieselflotte wurde unter dem Namen «Zukunft Zillertalbahn 2020+» schon Ende 2015 beschlossen. Zunächst hatte man eine Elektrifizierung der Strecke erwogen, doch allein die Oberleitung hätte 22 Millionen Euro gekostet, und in der Tourismushochburg wollte man die Landschaft nicht durch weitere Masten und Leitungen noch mehr verschandeln. Schon heute durchziehen viele Stromleitungen das Tal, weil dieses neun Wasserkraftwerke beherbergt (die 30 Prozent der gesamten Tiroler Wasserkraftenergie erzeugen). So fiel Anfang 2018 der Entscheid, auf Wasserstoff zu setzen.
Mit den neuen Fahrzeugen will die Zillertalbahn die Zahl ihrer Passagiere von derzeit 2 Millionen im Jahr um 20 Prozent auf 2,4 Millionen steigern. Die Bahn wird auch von vielen Schneesportlern benützt, zur Anreise zu den drei Skigebieten Hochzillertal/Kaltenbach, Zillertal Arena und Mayrhofen. Geplant sind Anpassungen an der Streckenführung, so dass die Züge der Zillertalbahn künftig direkt an den Talstationen der Skigebiete halten. Der Eingang des Zillertals in Jenbach liegt auf halbem Weg zwischen Innsbruck und Kufstein. Stadler hat mit Schmalspurbahnen Erfahrung, lieferte das Unternehmen doch zum Beispiel 2013 neue elektrische Züge für die Mariazellerbahn, die ebenfalls eine Spurweite von 760 Millimetern hat.
Wasserstoff im Schienenverkehr ist ein relativ junges Feld. Den ersten Zug mit Wasserstoff-Brennstoffzelle in Serienfertigung, der auch Hydrail genannt wird, baut Alstom. Der Corada iLint, hergestellt im deutschen Werk Salzgitter des französischen Unternehmens, ist im September 2016 an der weltgrössten Bahnmesse Innotrans in Berlin vorgestellt worden, und seit April 2017 laufen Testfahrten.
Vergangenen Oktober hat die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen beim Konsortium aus Alstom und dem deutschen Wasserstofflieferanten Linde 14 Stück des 140 km/h schnellen Corada iLint bestellt und sich eine Option auf 33 weitere Fahrzeuge gesichert. Ab Ende 2021 will man auf der Elbe-Weser-Linie Buxtehude–Bremervörde–Bremerhaven–Cuxhaven die Züge einsetzen, wobei aber der Prototyp und eine zweite Komposition noch diesen Sommer mit der Beförderung von Passagieren beginnen sollen.
Im Gegensatz zu Dieselzügen sind Wasserstoffzüge emissionsfrei und leiser, weil das Motorengeräusch entfällt. Zudem sind elektrische Motoren wartungsärmer als Verbrennungsmotoren. Und auf lange Sicht dürften die Öl- und damit die Dieselpreise steigen, weil Rohöl keine erneuerbare Energie ist.
Kanada hat vergangenen Februar für das per 2025 geplante Netzwerk einer Regional Express Rail (RER) im Grossraum Toronto eine Studie publiziert, die Wasserstoff-Brennstoffzellen einer Elektrifizierung gegenüberstellen. Fazit: Die Kosten über den ganzen Lebenszyklus sowie das Kosten-Nutzen-Verhältnis sind jeweils vergleichbar, technisch sind beide Systeme machbar. Mit Wasserstoff könnte man auf Bau und Unterhalt der Oberleitungen verzichten, und es müssten weniger Bäume gefällt werden. Dafür erfordert Wasserstoff eine wiederkehrende Betankung, und die Studie sieht potenzielle Risiken punkto Rollmaterialentwicklung, Zulassungsfristen, unerwartete Haftungsfragen und Bedenken der Öffentlichkeit. (T. G.)