So klappt ein Börsengang

Stadler könnte dereinst an die Börse gehen. Voraussetzung für das Gelingen sind monatelange akribische Vorbereitungen, und das Unternehmen muss die Investoren von seiner Strategie überzeugen können.

Thomas Griesser Kym
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Peter Spuhler vor Stadlers Hochgeschwindigkeitszug «Giruno» für die SBB. (Bild: Urs Bucher (Bussnang, 18. Mai 2017))

Peter Spuhler vor Stadlers Hochgeschwindigkeitszug «Giruno» für die SBB. (Bild: Urs Bucher (Bussnang, 18. Mai 2017))

«Ein Börsengang ist eine Option.» Das wiederholt Stadler-Sprecherin Marina Winder seit geraumer Zeit auf die Frage, ob sich der Schienenfahrzeugbauer darauf vorbereite, an den Aktienmarkt zu gehen. Weitere Optionen sind beispielsweise, als eigenständiges, von Patron Peter Spuhler privat gehaltenes Unternehmen weiterzufahren wie bisher oder eine Fusion mit einem strategischen Partner.

Was bekannt ist: Stadler hat einen Readiness-Check gemacht, wie Spuhler im September der «Handelszeitung» sagte. Ein solcher dient dazu, herauszufinden, ob das Unternehmen überhaupt fit wäre für einen Börsengang und wo noch Handlungsbedarf besteht. Laut der Nachrichtenagentur Reuters hat Stadler die Grossbanken Credit Suisse und UBS als federführende Banken verpflichtet, um bei der Vorbereitung eines Börsengangs zu helfen.

Dass Banken an Bord geholt werden, entspricht der normalen Prozedur. Denn ein Börsengang bedarf, damit er gelingt, akribischer Planung. Ausserdem sollte das Umfeld stimmen: Ho­he Zinsen, hohe Volatilität an den Börsen, Aktienmärkte im Abwärtstrend oder geopolitische Verwerfungen sind keine idealen Rahmenbedingungen. So gab es etwa 2002 und 2003, in den beiden Jahren nach den Terroranschlägen in den USA, an der Schweizer Börse SWX (heute SIX) im Wesentlichen keine Börsengänge, weil das Interesse der Investoren schlagartig erloschen war.

Attraktiver Investment Case als Voraussetzung

Der klassische Fall eines Börsengangs ist ein IPO (Initial Public Offering). Im Rahmen einer solchen Publikumsöffnung werden privat gehaltene Aktien neuen Investoren zum Kauf offeriert und bei diesen platziert. Motive für den Gang an den Aktienmarkt reichen von der Deckung eines Kapitalbedarfs über den Ausstiegswunsch eines Hauptaktionärs bis zu einer Verbreitung des Bekanntheitsgrades eines Unternehmens, wie es im Leitfaden «IPO Guide Schweiz» der SIX heisst. Oft spielt auch eine Kombination mehrerer Faktoren eine Rolle.

Damit sich ein Unternehmen als Börsenkandidat positionieren kann, gilt es gewisse Voraussetzungen zu erfüllen. Technisch und personell muss es organisatorisch stabil sein, eigenständig konsolidierte Abschlüsse nach IFRS respektive US GAAP für drei Finanzjahre vor dem IPO-Termin erstellen können sowie über ein operatives Topmanagement und einen Verwaltungsrat verfügen, deren Leistung und Corporate-Gover­nance-Verständnis auf der Höhe sind.

Aus der Optik des Marktes ist ein attraktiver Investment Case eine zentrale Vor­aussetzung. Die Investoren müssen vom Geschäftsmodell und von der Strategie überzeugt sein, die Motive des Börsengangs müssen ebenso klar sein wie die Verwendung der Mittel, die dem Unternehmen aus diesem Schritt zufliessen, etwa für Übernahmen, Forschung, Vordringen in neue Märkte usw. «Investoren stehen einer Mittelaufnahme auf Vorrat kritisch gegenüber; sie ist nicht zu empfehlen», hält die SIX fest.

Börsenfähig trotz Mittelabflüssen

Weitere Elemente eines interessanten Investment Case sind «attraktive Positionen in wachsenden Märkten, neue vielversprechende Produkte sowie eine regionale bzw. globale Präsenz», schrieb der Kapitalmarktexperte Leonid Baur im «Schweizer Treuhänder». Ausschliesslich national tätige Firmen eigneten sich grundsätzlich weniger für Börsengänge. Zudem müsse ein IPO-Unternehmen «über gute und wachsende Cashflow verfügen», also über selbst erarbeitete Mittel.

In gewissen Branchen sei es auch möglich, börsenfähig zu werden mit Cashdrains, also Mittelabflüssen. Paradebeispiel ist die Biotechnologie, in der teure Aufwendungen für Forschung und Entwicklung nötig sind und mehrere Jahre vergehen können, bis ein Präparat lanciert werden kann. Hier ist es entscheidend, Investoren überzeugen zu können, dass man eine bahnbrechende Entwicklung in der Pipeline habe.

An der SIX kotierte Firmen benötigen einen Freefloat oder Streubesitz von 25 Prozent aller ausstehenden Aktien. Dieser Anteil frei handelbarer Aktien soll sicherstellen, dass nach dem IPO ein geregelter Markt entsteht. Institutionelle Investoren wie Versicherer oder Pensionskassen stellen zudem Anforderungen an die Marktkapitalisierung, damit die Liquidität der Titel gewährleistet ist. Ist das IPO kleiner als 60 bis 80 Millionen Franken, «wird es schwierig», hält Baur fest. Laut der SIX reicht die Spanne der Börsengänge seit dem Jahr 2000 punkto Marktkapitalisierung von 40 Millionen bis zu 3,3 Milliarden Franken.

Das Management auf Achse

Die direkten Vorbereitungsarbeiten eines Börsengangs vom Kick-off bis zum ersten Handelstag der Aktie dauern vier bis sechs Monate. Bedingung ist, dass die Gesellschaft strukturell und strategisch den Anforderungen an eine börsenkotierte Gesellschaft genügt. Um das zu erreichen, werden im Vorfeld Wirtschaftsprüfer und Investmentbanken beigezogen. Während der Vorbereitungsphase wird das Unternehmen geschäftlich, finanziell, rechtlich und steuerlich durchleuchtet. Diese Sorgfaltsprüfung (Due Diligence) durch Fachanwälte ist nötig, um den Emissionsprospekt samt Finanzabschlüssen und ausführlichen Angaben zur Firma, zu deren Strategie und zum geplanten IPO erstellen zu können.

Neben dem Prospekt bedeutend sind unabhängige Research-Berichte von Finanzanalysten, denen der Investment Case präsentiert wird. Das ganze Bündel dient dann als Basis für Information, Marketing, Meinungsbildung und Preisfindung der Investoren. Mit diesen treten das Unternehmen und die Syndikatsbanken, die den Börsengang begleiten, in einen mehrstufigen Dialog.

In einem Pilot Fishing wird das Gespräch mit ­einigen zentralen Grossinvestoren gesucht. Während des Pre-Marketings besuchen die Analysten der Syndikatsbanken interessierte Investoren und stellen ihre Research-Berichte vor. Den Banken liefern diese Kontakte Einblicke in die Bewertungsüberlegungen und das Kaufinteresse. Aufgrund dieser Erkenntnisse wird die Bandbreite des Emissionspreises der Aktien festgelegt. In einem dritten Schritt präsentiert sich das Mana­gement des IPO-Kandidaten auf einer Roadshow interessierten Investoren.

Potenziell ein Objekt für Übernahmegelüste

In dieser Phase beginnt auch das Bookbuilding. Dabei können Investoren während der Zeichnungsfrist, in der Regel zehn Börsentage, Kaufaufträge einreichen, die das Orderbuch füllen. Auf dessen Basis werden am Ende der Bookbuildingphase der Emissionspreis festgelegt und die Aktien den Investoren zugeteilt. Ist die Nachfrage grösser als das Angebot, wird der Preis am oberen Rand der Bandbreite zu liegen kommen, und die Emission ist überzeichnet. Das bedeutet, die einzelnen Investoren werden weniger Aktien bekommen als sie zu kaufen wünschten.

Um in einer ersten Phase des Handels, bis zu 30 Kalendertage nach dem ersten Handelstag, grössere Kursschwankungen zu verhindern, kann die federführende Syndikatsbank bei sinkenden Kursen Aktien zurückkaufen und bei steigenden eine Mehrzuteilungsoption (Greenshoe) ausüben.

Nach dem IPO muss der Börsenneuling sämtliche Börsenregeln befolgen. Diese reichen von der Ad-hoc-Publizitätspflicht über die Pflege der Investor Relations bis zur periodischen Berichterstattung. Und das Unternehmen muss sich bewusst sein, dass es auch ein Übernahmekandidat werden kann.

Vom KMU zum Weltkonzern

Dass sich Peter Spuhler Überlegungen macht zur Zukunft seines Unternehmens, erstaunt nicht. Erstens ist der Thurgauer Unternehmer bald 60 Jahre alt, er muss sich also darauf vorbereiten, seine Nachfolge als Inhaber und Verwaltungsratspräsident zu regeln. Zweitens hat er Stadler innert 30 Jahren von einem KMU mit 18 Beschäftigten zu einem der weltgrössten Zugbauer auf- und ausgebaut, zu einem Konzern mit 2,4 Milliarden Franken Umsatz und 7600 Beschäftigten. Für 2020 peilt man gar Verkäufe für 3,9 Milliarden an.

Das Wachstum in solche Dimensionen und die immer dichtere globale Präsenz machen die Führung der Gruppe immer anspruchsvoller. Drittens steht Stadler trotz erstklassiger Produkte, einer breiten Palette an Schienenfahrzeugen, hoher Liefertreue und Weltmarktführerschaft in Segmenten wie zum Beispiel Zahnradbahnen unter Konkurrenzdruck. Denn auf dem Markt tummeln sich immer weniger, dafür immer grössere Rivalen. Wettbewerber wie ABB, Daimler oder Schindler sind längst Geschichte, dafür arbeiten Alstom und Siemens an ihrer Fusion, und der chinesische Staatskoloss CRRC streckt seine Fühler mit Unterstützung der Pekinger Regierung immer weiter in Gebiete ausserhalb seines Heimmarktes aus und kommt damit Stadler immer öfter in die Quere.

Viertens werden Fahrzeugbau und Signaltechnik immer enger miteinander verzahnt, auch als Folge der Digitalisierung. Das eröffnet zwar einerseits neue Geschäftschancen, erfordert aber andererseits auch neues Know-how und mehr Mittel für Investitionen in neue Technologien und allenfalls dafür erforderliche Übernahmen. (T. G.)