Ohnmacht bei den OVS-Angestellten

Der italienische Modekonzern OVS zieht sich zum zweiten Mal aus der Schweiz zurück. Über tausend ehemalige Charles-Vögele-Angestellte bleiben im Ungewissen.

Maurizio Minetti
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Zu wenig Kunden: Nun stehen die OVS-Läden vor Liquidationsverkäufen. (Bild: Philipp Schmidli)

Zu wenig Kunden: Nun stehen die OVS-Läden vor Liquidationsverkäufen. (Bild: Philipp Schmidli)

Die Aktionäre des italienischen Modehändlers OVS gehen dieses Jahr leer aus. Der Konzern hat die Dividende am Donnerstag gestrichen. Ganz andere Sorgen haben die Angestellten in der Schweiz: Ihre Jobs sind akut gefährdet, seit am Mittwoch vor Fronleichnam bekannt geworden ist, dass die Betreiberin der rund 140 Schweizer OVS-Filialen in Nachlassstundung geht. Das Bezirksgericht Höfe hat ein entsprechendes Gesuch bewilligt. Der Betrieb der OVS-Läden wird für eine beschränkte Dauer weitergeführt, danach ist ein Liquidationsverkauf vorgesehen. Zumindest einen Teil der Filialen will der Betreiber Sempione Fashion an Dritte übertragen, doch bis dato ist noch nicht klar, wer die Filialen übernehmen könnte. Die Fäden hat Sachwalter und Rechtsprofessor Franco Lorandi in den Händen. Er wollte sich am Freitag nicht äussern.

OVS ist erst im Dezember 2016 mit dem Kauf der ehemaligen Filialen von Charles Vögele in den Schweizer Markt eingetreten. Am Hauptsitz in Pfäffikon SZ arbeiten heute noch 148 Personen, nachdem OVS bereits in den letzten Monaten Hunderte Stellen gestrichen hatte. In den grössten Filialen sind 15 bis 25 Personen beschäftigt. Schweizweit zählt OVS rund 1160 Angestellte.

Nicht an Schweizer Verhältnisse angepasst

Die Gewerkschaft Unia hat nun eine Reihe von Forderungen an OVS gestellt. Es müsse über flankierende Massnahmen wie ein Job-Center sowie über finanzielle Entschädigungen verhandelt werden. Sei der Betreiber Sempione Fashion dazu nicht mehr in der Lage, müsse das italienische Mutterhaus OVS seine Verantwortung übernehmen und zu Hilfe kommen. Giuseppe Reo von der Unia sagt auf Anfrage, die Angestellten in der Schweiz seien seit der Information vom Mittwoch im Ungewissen: «Es herrscht Ohnmacht.» Er kritisiert, dass sich OVS bis vor kurzem nicht um eine Sozialpartnerschaft bemüht habe.

Die Unia hat in den letzten zwei Jahren immer wieder die Arbeitsbedingungen bei OVS angeprangert. «Mit unterschiedlichen Arbeitsverträgen hat man versucht, die Belegschaft auseinanderzudividieren», sagt Reo. Jüngere Angestellte hätten Festanstellungen bekommen, während man die Älteren mit Teilzeitengagements auf Abruf gestellt habe. Der Rückzug von OVS aus der Schweiz – es ist bereits der zweite nach dem ersten Versuch vor 15 Jahren – kommt für Reo nicht überraschend. «Die Angestellten haben uns immer wieder berichtet, dass kaum Kunden in die Läden kommen.» Reo sieht den Grund nicht nur im Kleidersortiment, sondern auch in der Art und Weise, wie OVS in der Schweiz die Ware verkaufen wollte. «Das Ladenkonzept war nicht an Schweizer Verhältnisse angepasst. Hierzulande spielt die Beratung eine grössere Rolle als in Italien», so Reo. Für Beobachter ist klar: OVS hat die alte Kundschaft vergrault und den Wechsel zu einem jüngeren Kundensegment nicht geschafft.

«Wir sind eine Wette eingegangen – es hat nicht funktioniert.»
OVS-Konzernchef Stefano Beraldo

Bei den Verantwortlichen von Sempione Fashion in der Schweiz wollte sich am Freitag niemand persönlich äussern. In einer Mitteilung ist die Rede von «anhaltend ungenügenden Umsätzen, die zu massiven finanziellen Engpässen geführt haben». Fragen an OVS-Konzernchef Stefano Beraldo blieben bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Im «Corriere del Veneto» vom Freitag lässt sich Beraldo mit der Aussage zitieren, man habe beim Einstieg Ende 2016 bewusst Risiken in Kauf genommen. «Wir sind mit der nötigen Vorsicht eine Wette eingegangen – es hat nicht funktioniert», so Beraldo.

An der OVS-Generalversammlung sinnierte er: «Wir hätten vielleicht die Kollektionen, die Kleidergrössen oder die Preise anpassen müssen.» Auch die Wetterbedingungen seien nicht optimal gewesen.

Umsatz ist eingebrochen

Freilich haben auch Online-Shopping, starker Franken und Einkaufstourismus das Ihre beigetragen. Der Strukturwandel ist erheblich: Laut dem Marktforscher GfK Schweiz gehen die Quadratmeter-Umsätze in den Modeketten seit 2010 jährlich um 4 bis 5 Prozent zurück. Nur die Elektronikbranche macht einen rasanteren Strukturwandel durch. Vor diesem Hintergrund halfen auch die 40 Millionen Franken nichts, die OVS in den Umbau der Filialen investiert hat. Im jüngsten Geschäftsjahr steuerten die ehemaligen Charles-Vögele-Läden umgerechnet noch knapp 110 Millionen Euro zum 1,5 Milliarden Euro schweren Konzernumsatz von OVS bei. Zum Vergleich: Anfang Jahrtausend war Charles Vögele an der Börse noch über 2 Milliarden Franken wert. Zuletzt soll der Umsatz hierzulande um 30 Prozent eingebrochen sein. Noch vor einem Jahr sprach Beraldo von der Hoffnung, in fünf Jahren mit den ehemaligen Vögele-Läden 600 bis 700 Millionen Euro umzusetzen.

Im September 2017 hatte Alessandro Montalbano, verantwortlich für das Schweizer Geschäft, im Interview mit unserer Zeitung selbstsicher verkündet: «Ich bin überzeugt, dass wir erfolgreich sein werden. Unsere Formel ist stark. Wir sind auch nicht irgendein Unternehmen.» Nun macht Konzernchef Stefano Beraldo unmissverständlich klar, dass das Engagement in der Schweiz beendet ist: «Wir werden keine weiteren Verpflichtungen eingehen», sagte er an der Generalversammlung.