Erstmals gehen die USA auf der Jagd nach Steuerflüchtigen gegen eine entfernte Offshore-Bank vor. Mit der Klage direkt gegen Wegelin & Co., der ältesten Schweizer Bank, wird der Druck auf den Schweizer Finanzplatz erhöht. Bisher waren nur drei einzelne Wegelin-Mitarbeiter angeklagt.
Es geht um mindestens 1,2 Milliarden Dollar, welche die St. Galler Traditionsbank Wegelin für amerikanische Klienten auf geheimen Konten verwaltet haben soll. Dabei sei sie im Stil einer «Verschwörung» vorgegangen. So steht es in der Klageschrift, die Chefankläger Preet Bharara in New York eingereicht hat. Damit macht der US-Strafverfolger Ernst mit seiner Warnung, gegen Banker vorzugehen, die unter Berufung auf Landesgesetze versuchen, ihre Kunden zu schützen und das Bankgeheimnis zu wahren.
«Die Bank Wegelin half mit und stiftete US-Steuerzahler an, die in schamloser Weise die Steuergesetze verletzt haben», heisst es in einer Erklärung des Bundesanwalts von Manhattan. Besonders erzürnt Bharara, dass die Banker auf dem Höhepunkt des Steuerstreits mit der UBS im grossen Stil Neukunden aus den USA anwarben. «Sie haben sich durch die kristallklaren Warnungen nicht abschrecken lassen.» In der Anklage wird dem 271 Jahre alten Finanzhaus vorgehalten, zwischen 2002 und 2011 mehr als 100 Steuerflüchtigen geholfen zu haben, ihre Vermögen am Fiskus vorbeizuziehen. Verantworten müssen sich in diesem Zusammenhang auch jene drei Zürcher Wegelin-Banker, gegen die bereits im Januar Anklage erhoben wurde.
Auf 58 Seiten führen die Strafverfolger im Detail aus, wie Wegelin seine Geschäfte gemacht haben soll. Demnach hätte «um 2008 herum» die Führung der Bank, einschliesslich der Management-Partner, «positiv entschieden, das grenzübergreifende Bankgeschäft zu gewinnen, das die UBS verloren hat – indem sie für in den USA steuerpflichtige Kunden, die aus der UBS flüchteten, neue nicht offengelegte Konten eröffnete.»
Laut Anklage habe Wegelin darauf gesetzt, dass sie kleiner als die UBS sei und keine Niederlassungen in den USA habe. Zudem sei das Klima günstig für die Bank gewesen: Die Steuerflüchtigen hätten Angst gehabt, entdeckt zu werden. Mit dem Effekt, dass Wegelin hohe Gebühren habe verlangen können. Die Privatbank soll bei der Akquise neuer Kundschaft auch auf das Internet gesetzt haben. Zwischen 2005 und 2009 warb die von Dritten betriebene Webseite www.swissprivatebank.com Amerikaner mit dem Versprechen garantierter Geheimhaltung an. «Weder die Schweizer Regierung noch irgendeine andere Regierung kann Informationen über ihr Bankkonto erhalten.»
Wegelin soll das Versprechen durch die phantasievolle Verschleierung der Kundenidentität sowie Transaktionen über Scheinfirmen und Korrespondenzkonten gehalten haben. So führte das Bankhaus nach Darstellung des Chefanklägers in Manhattan Konten mit Decknamen wie Elvis oder Limpopo Foundation. Angesichts der zunehmend schwierigen Transaktionen entwickelten Kundenberater laut Anklage Erfindungsreichtum.
Im Detail beschreiben die Strafverfolger, wie ein Wegelin-Banker in einem Restaurant in Manhattan von einem Kunden 16 000 Dollar in einem unbeschrifteten Umschlag entgegennahm und diesen dann einer weiteren Person, die im Eingangsbereich wartete, weiterreichte. Vertreter der Bank äusserten sich in der US-Presse nicht zu den Vorwürfen. Vergangene Woche hatte Wegelin-Teilhaber Konrad Hummler in einer Mitteilung verlauten lassen, sein Haus werde seiner Verantwortung gerecht und die eingegangenen Verpflichtungen einhalten. «Wir sind entschlossen, die rechtlichen Verhandlungen bis zum Ende durchzustehen.»
Vergangene Woche trennte sich Wegelin von Geschäftsteilen, die keinen US-Bezug hatten. Als Käuferin trat Raiffeisen auf. Der Verkauf befreit die Führung der Privatbank nicht von der strafrechtlichen Verfolgung in den USA. Die Wegelin-Ermittlungen profitierten von der Herausgabe der UBS-Kundendaten sowie dem Amnestieprogramm der US-Steuerbehörde IRS. In dessen Folge legten mehr als 14 000 Amerikaner ihre Geheimkonten offen und versorgten die Strafverfolger mit detaillierten Informationen über Kundenberater und deren Geschäftspraktiken. Thomas Spang, Washington