«Chinesen wollen mehr Geld ausgeben»

Gäste aus China sind für über 20 Prozent der weltweiten Reiseumsätze verantwortlich. Auch die Schweiz will nachhaltig profitieren. An vorderster Front weibelt Hoteldirektor Markus Conzelmann, der regelmässig für Marktrecherchen nach Fernost reist.

Interview: Robert Wildi
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Chinesische Touristininnen bestaunen in Zermatt Luxusuhren in einem Schaufenster. Bild: Stefan Bohrer/EQ Images (5. August 2015)

Chinesische Touristininnen bestaunen in Zermatt Luxusuhren in einem Schaufenster. Bild: Stefan Bohrer/EQ Images (5. August 2015)

Chinesen haben den Ruf der Massen- und Durchgangstouristen, die in zehn Tagen ganz Europa abklappern. Wirklich eine spannende Klientel für Schweizer Hotels?

Da müssen wir klar differenzieren. 82 Prozent der chinesischen Gäste besuchen die Schweiz in Kombination mit mindestens einem anderen Land wie Italien, Frankreich oder Deutschland. Der Anteil der Chinesen, die einen reinen Schweiz-Urlaub absolvieren, beträgt also 18 Prozent und ist in den letzten Jahren rasant gewachsen. Diese Chinesen geben pro Tag in der Schweiz 350 Franken aus. Im Vergleich dazu sind es bei US-Amerikanern 220 und bei Deutschen 140 Franken. Die Frage, ob es sich um eine spannende Klientel handelt, hat sich somit erübrigt.

Sind Chinesen nicht eher knausrig bei den Unterkünften und geben ihr Geld für Uhren und Schmuck aus?

Auch dieses Bild wandelt sich zunehmend. Klar sind Luxus- und Marken- sowie auch kosmetische Produkte für Chinesen wichtige Reisesouvenirs. Immer wichtiger werden vor allem den individuell Reisenden aber auch Schlafkomfort sowie die Essensqualität. Aber im Gegensatz etwa zu unserer Kultur isst der Chinese viel stärker auch mit dem Auge.

Markus Conzelmann (54) hat unterschiedlichen Hotels geleitet unter anderem als Direktor im Park Inn by Radisson Zurich Airport. Heute führt er das Radisson Blu Hotel Lucerne als General Manager. (Pius Amrein (Luzern, 16. März 2016))

Markus Conzelmann (54) hat unterschiedlichen Hotels geleitet unter anderem als Direktor im Park Inn by Radisson Zurich Airport. Heute führt er das Radisson Blu Hotel Lucerne als General Manager. (Pius Amrein (Luzern, 16. März 2016))

Wie meinen Sie das?

Chinesen lieben es zum Beispiel, in Luzerner Delikatessengeschäfte zu gehen, sich die Esswaren anzuschauen und mit Ladenbesitzern oder auch am Supermarkt oder mit Hotelköchen über die Zubereitung zu diskutieren. Das kennen sie auch von zu Hause. In jedem Restaurant in China und Taiwan wird zuerst mit dem Koch oder dem Besitzer des Restaurants gesprochen, bevor man bestellt. Diesem Umstand tragen wir im Radisson Blu etwa Rechnung, indem unser Koch regelmässig selbst auf dem Luzerner Gemüsemarkt einkauft und die Hotelgäste auf Nachfrage in seine Töpfe schauen lässt. Speziell die Chinesen lieben das.

Und sind bereit, für entsprechende Qualität auch mehr zu bezahlen?

Das beobachten wir bei unserer aufkommenden chinesischen Individualreisekundschaft sehr stark. Das wirtschaftliche Wachstum vor Ort hat Millionen von Menschen ein solides Einkommen beschert. Reisen und qualitativ hochwertige Erlebnisse sind für sie zum Grundbedürfnis geworden. Eine riesige Chance für den Schweizer Tourismus ganz generell.

Die auch genutzt wird?

Davon bin ich überzeugt, wie die seit Jahren markant steigenden Zahlen der chinesischen Logiernächte (Anm. d. Red.: siehe Box) belegen. Schweiz Tourismus ist in China und ganz Südostasien, aber auch in Indien, seit Jahren sehr präsent und hat solide Vorarbeit geleistet. Auch die zahlreichen Informationsanlässe, Seminare und Recherchereisen, die ich mit Schweizer Delegationen vor Ort begleiten durfte, haben einen guten Nährboden gelegt. Die Kontakte zu den lokalen Generalkonsulaten, Botschaften und natürlich den grossen Reiseveranstaltern sind gut und intakt.

Welche Schweizer Destinationen werden vom Potenzial der einzelreisenden Chinesen künftig am meisten profitieren?

Nach Luzern und Zürich werden heute zum Beispiel Genf, Montreux, Bern, Lausanne, Zermatt, Spiez und auch Basel von Chinesen immer öfter ausgewählt. Gute Karten hat auch das Fürstentum Liechtenstein, weil Chinesen die Institution des «Fürsten» sehr romantisch finden und deshalb besuchen wollen. Schweizer Hotspots, die in China mittlerweile sehr bekannt sind: Kapellbrücke, Löwendenkmal, Bahnhofstrasse, Jungfraujoch, Grossmünster, Jet d’Eau, Lake Geneva, UNO Palais des Nations.

Wie können touristische Leistungsträger in der Schweiz aus der anrollenden «Chinesenwelle» noch mehr Profit schlagen?

Indem sie ihr Angebot noch stärker auf die Gewohnheiten der fernöstlichen Gäste ausrichten. Ich habe Delikatessengeschäfte und Restaurants angesprochen, die Chinesen mittels optischer Präsentation ihrer Spezialitäten anlocken können. Förderlich wäre auch das generelle Überdenken von Ladenöffnungszeiten. Chinesen sind sich gewohnt, immer und überall einkaufen zu können. Und zwar ohne Bargeld.

Das heisst?

Dass die Schweiz und ganz speziell der Schweizer Tourismus im Bereich der digitalen Bezahlmethoden noch stark nachrüsten muss. Chinesen schauen sich Angebote gern live an. Sie zücken dann ihr Handy, stellen online Vergleiche an und wollen dann via Alipay oder WeChat Pay gleich berührungslos bezahlen und den Betrag in ihrer lokalen Währung auf dem Screen sehen.

Also Shopping im Vorbeigehen.

In erster Linie die Nutzung modernster Bezahlmethoden. Wer die Infrastrukturen dafür bietet, hat bei chinesischen und auch vielen anderen Touristen aus dieser Weltregion schon mal gute Karten. Denn eines ist klar: Chinesen wollen in den Ferien durchaus mehr als die bereits stolzen 350 Franken ausgeben. Sie erwarten dafür aber diesen Bezahlkomfort.

Das Reiseland Schweiz muss also noch digitaler werden?

Absolut. Das hat neben der erhöhten Chance, einen Kauf abzuschliessen, auch noch andere Gründe. Über die digitalen Systeme können wir auch etwas über die Bezahlgewohnheiten der chinesischen und anderen Gäste erfahren. Das hat gerade für die Hotellerie erhebliche Auswirkungen. Heute würden bestimmte Gäste vielleicht eine bessere Zimmerkategorie wünschen und auch mehr dafür bezahlen. Nur wissen wir es nicht. Dank der Digitalisierung von Buchungs- und Bezahlmethoden kommen wir an dieses Wissen heran und können dadurch viel gezieltere Offerten lancieren und die Preisgestaltung flexibler handhaben. Daran arbeiten wir zurzeit mit Hochdruck.

Welche Chancen bestehen beim Schweizer Winter?

Da die nächste Winterolympiade in China stattfindet, ist vor Ort schon fast ein Hype fürs Skifahren ausgebrochen. Auch fördert die Regierung den Schneesport und motiviert junge Chinesen, Ski zu fahren. Schweiz Tourismus sowie unsere Politiker nutzen die Stimmung, um die Schweizer Berge kräftig zu bewerben. China will bis 2050 nicht nur Fussball-Weltmeister sein, sondern auch in anderen Sportarten, zum Beispiel Skifahren, zur internationalen Spitze gehören. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Schweiz als Trainingsgelände auch für die breite chinesische Masse künftig hervorragende Chancen hat.

China: Regelmässig zweistelliges Wachstum

Mit 1,43 Millionen Logiernächten im Jahr 2017 ist China für das Ferienland Schweiz zum viertwichtigsten ausländischen Gästemarkt (hinter Deutschland, USA, UK) aufgestiegen. In den letzten zehn Jahren legten die chinesischen Ankünfte mit Ausnahme von 2016 (Terrorängste) regelmässig im zweistelligen Prozentbereich zu. Der Grossteil der chinesischen Logiernächte wird in den Tourismusregionen Zentralschweiz (Anteil: 31 Prozent), Bern (25 Prozent) und Zürich (17 Prozent) gezählt. Am beliebtesten sind die Monate Juli und August. Die Nachfrage in den Wintermonaten ist im Unterschied zu anderen Herkunftsländern noch bescheiden. (row)