Geht es nach dem Bundesrat und der Nationalratskommission, dürfen Versicherungsgesellschaften künftig einseitig Verträge anpassen – und auf diese Weise Leistungen verweigern. Konsumentenschützer und Rechtsexperten sind empört.
Es ging diese Woche knapp zu und her in der Wirtschaftskommission des Nationalrats. Mehrfach wurde ein Stichentscheid von Kommissionspräsident Jean-François Rime (SVP/FR) nötig. Am Ende scheiterten verschiedene Änderungsanträge am umstrittenen Versicherungsvertragsgesetz. Diese hatten das Ziel, die Gewichte ein wenig in Richtung der Konsumenten zu verschieben. Doch die Vorlage des Bundesrats, die Gegner als Wunschzettel der Versicherungslobby bezeichnen, schaffte es dank der Stimmen aus der FDP und der SVP unbeschadet durch die Kommission. CVP, Grüne und SP reagierten mit scharfer Kritik. «Die Rechte und der Schutz der Kunden werden mit diesem Gesetz torpediert», sagt Prisca Birrer-Heimo, Präsidentin der Stiftung für Konsumentenschutz.
Der Luzerner SP-Nationalrätin stossen eine ganze Reihe von Neuerungen sauer auf. «Am schlimmsten» aber findet sie, dass Versicherer künftig die Vertragsbedingungen einseitig anpassen können sollen. Voraussetzung dafür ist lediglich eine Information des Kunden beim Vertragsabschluss. Dieser hat zwar die Möglichkeit, den angepassten Vertrag zu kündigen und den Anbieter zu wechseln. Doch gerade im Bereich der Krankenzusatzversicherung, sagt Birrer-Heimo, sei das für Versicherte nicht immer möglich. Oder es wird sehr teuer. Sie skizziert das Szenario einer 65-jährigen Frau, die jahrelang für ihre Zusatzversicherung bezahlt hat, deren Versicherung ihr dann aber mitteilt, dass sie Aufenthalte in gewissen Spezialkliniken nicht mehr bezahlt. «Diese Frau hat kaum eine Chance, an einem anderen Ort eine Zusatzversicherung abzuschliessen», sagt Birrer-Heimo. Das Recht zur einseitigen Anpassung kommt für sie deshalb einer «Auslieferung der Kunden an die Versicherer» gleich.
Die Pläne des Bundesrats und der Wirtschaftskommission stossen nicht nur im Bundeshaus auf Widerstand. Auch renommierte Versicherungsrechtsexperten ärgern sich über sie. So etwa Stephan Fuhrer, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Haftpflicht- und Versicherungsrecht. Fuhrer sagt, es brauche dringend eine Revision des über 100-jährigen Gesetzes, und manche der vorgeschlagenen Elemente seien notwendig. Doch insgesamt, so Fuhrer, werde die Stellung der Versicherten nicht verbessert. Sondern verschlechtert. «Und das, nachdem der Bundesrat 20 Jahre lang gesagt hat, dass es eigentlich in die andere Richtung gehen müsste», sagt Fuhrer. Der Rechtsprofessor bezeichnet die angedachte Möglichkeit zur einseitigen Anpassung der Vertragsbedingungen als «starken Tobak». Und kritisiert eine ganze Reihe weiterer Gesetzesänderungen, die für ihn in die gleiche Richtung gehen. Insbesondere jene, die vorsieht, dass Unfall- oder Krankenversicherer ihre periodischen Leistungen – etwa Renten – beschränken oder aufheben können, wenn der Vertrag nach Eintritt des Schadenfalls erlischt. Konkret heisst das laut Fuhrer: Wenn das befürchtete Ereignis eintritt, kann die Versicherung durch Kündigung des Vertrages erreichen, dass sie keine weiteren Leistungen erbringen muss. «Das Bundesgericht hat entschieden, dass das nicht geht. Und jetzt kommt der Bundesrat – und will genau das ins Gesetz schreiben», sagt Fuhrer, «das ist doch stossend.»
Die Kommissionsmehrheit argumentiert bei den umstrittenen Punkten mit der gesetzlich vorgegebenen Pflicht der Versicherungen, ihre Kunden über mögliche Vertragsanpassungen oder Leistungseinschränkungen vor Abschluss des Vertrags zu informieren. Das genügt in ihren Augen. Sie möchte private Verträge nicht unnötig einschränken. Ob sich der Nationalrat seiner Kommission anschliesst, ist angesichts der knappen Entscheide in der vorberatenden Kommission nicht in Stein gemeisselt. Konsumentenschützerin Prisca Birrer-Heimo kündigte schon an, «auf die Barrikaden» zu gehen, falls das Gesetz so durch das Parlament komme. Beim Schweizerischen Versicherungsverband gibt man sich derweil «erfreut» über die Entscheide der Kommission. Es werde auf neue Regulierungen verzichtet, «die Mehrkosten verursachen, ohne Kunden einen Mehrwert zu bieten».