Patente machen nicht satt: So lautet das Fazit einer Kontroverse über den Schutz von Nutzpflanzen, angeregt vom Institut für Geistiges Eigentum. Zu viel Schutz behindere die Entwicklung neuer Sorten und schaffe Monopole.
Bern. In diesem Jahr wächst die Weltbevölkerung voraussichtlich auf sieben Milliarden Menschen, bis 2050 dürften es neun Milliarden sein. Doch schon heute hungern eine Milliarde Menschen; ebenso viele leiden unter Fettleibigkeit.
Brauchen wir ein neues Ernährungssystem? Für Felix Addor, stellvertretender Direktor des Eidgenössischen Instituts für Geistiges Eigentum (IGE), beginnt der Kampf gegen den Hunger beim Saatgut: Verbesserte Nutzpflanzen mit Resistenzen gegen Trockenheit und Schädlinge garantierten höhere Erträge – dies ohne Erschliessung zusätzlicher Agrarflächen durch Abholzung von Urwäldern und ohne zusätzlichem Verbrauch von Süsswasser. Sortenschutz und Patentrechte bieten laut Addor positive Anreize zur Innovation in der Landwirtschaft. Patente förderten auch den Wissensaustausch. Diesbezüglich komme dem IGE eine wichtige Rolle zu, sagt Addor an der Diskussion in Bern.
Der Schweizer Agrochemiekonzern Syngenta mit Sitz in Basel und 26 000 Mitarbeitenden in 90 Ländern erzielt hohe Gewinne mit Nutzpflanzen. Im vergangenen 1. Semester 2011 vermeldete der Konzern zweistellige Zuwachsraten. Im Geschäftsbericht schreibt Syngenta: «Knappe Getreidemengen bei gleichzeitig steigender Nachfrage führen zu einem Anstieg der Preise, der wiederum steigende Investitionen im Technologie-Bereich nach sich zieht.»
Saatgut ist laut Syngenta-Patentchef Michael Kock «sensibles Innovationsgebiet mit hohen Risiken und Kosten». Die Entwicklung einer neuen Pflanze kostet den Konzern 180 Mio. Fr. und 18 Jahre Forschung. Syngenta hat sich zum Ziel gesetzt, «bestmöglichen Ertrag aus jeder einzelnen Nutzpflanze zu erzielen».
Sortenschutz allein biete jedoch keinen ausreichenden Anreiz für Forschung, betont Kock: «Zum Schutz einer Erfindung braucht es Patente. Die Alternative dazu ist die Geheimhaltung.» Der Schutz der Privatinteressen bedeutet aber auch Monopolisierung und Abschottung: Kleinbauern und Entwicklungsländern bleibt der Zugang zur industriellen Innovation verwehrt, es sei denn, sie zahlten teure Lizenzgebühren. Schlimmer noch: Traditionelle Bauern sehen sich gar ihrer eigenen Züchtungen beraubt.
François Meienberg von der entwicklungspolitischen Organisation Erklärung von Bern (EvB) befasst sich seit Jahren mit dem Thema: «Kein Züchter wagt sich an die Weiterentwicklung einer Getreidesorte, die schon mit Patentrechten belegt ist.» Neue Sorten basieren immer auf bereits existierenden. Durch den verwehrten Zugang entsteht statt Artenvielfalt Reduktion.
Meienberg übt grundsätzliche Kritik am heutigen System: «Der überhöhte Schutz verhindert die Innovation, und Patentrechte stellen das Menschenrecht auf Nahrung in Frage.» Die Industrie habe ihre Interessen auf Kosten der Kleinbauern, der konventionellen Züchter sowie der Konsumentinnen und Konsumenten weltweit durchgesetzt.
Meienberg kritisiert auch internationale Regelungen wie das Abkommen zum Schutz von Pflanzensorten (Upov), welche die Bauernrechte und traditionelle Saatgutsysteme massiv beschneiden. Der Saatgutvertrag der UNO-Organisation für Nahrungsmittel und Landwirtschaft (FAO) wiederum habe zur Aushöhlung des Sortenschutzes geführt. Anstelle von gerechter Verteilung des Nutzens und Schutzes der Biodiversität herrsche ein Wettlauf auf die pflanzlichen Ressourcen «wie in einem Selbstbedienungsladen», kritisiert Meienberg.