Börsenspiegel
In den letzten Wochen sind erneut Diskussionen über ein Auseinanderbrechen der europäischen Währungsunion aufgekommen. Auslöser dafür war unter anderem die Tatsache, dass die Verhandlungen über die nächste Zahlung an Griechenland erneut ins Stocken geraten sind und prominente Politiker in Frankreich und Italien einen Ausstieg aus dem Euro fordern. Aber wie wahrscheinlich ist ein solches Szenario?
Im Grunde sind zwei Formen eines Euro-Ausstiegs denkbar: ein freiwilliger Austritt eines Mitgliedstaats oder ein zwangsweiser unfreiwilliger Ausschluss. In die erste Kategorie fallen die Vorschläge der französischen Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen, die einen Austritt Frankreichs aus der Europäischen Union (EU) und dem Euro fordert. Für ein solches Szenario sieht die CS allerdings nur eine geringe Wahrscheinlichkeit von etwa 15%.
Abgesehen von dieser tiefen Wahrscheinlichkeit hätte der Versuch einer strukturell schwachen und anfälligen Volkswirtschaft (gemessen an den Aussen- und Fiskalbilanzen, der Staatsverschuldung und dem Wachstumspotenzial), eine eigene Währung einzuführen, aller Wahrscheinlichkeit nach eine Reihe unangenehmer Konsequenzen: Die Anleihenrenditen würden stark ansteigen, da Kapital aus dem Land abgezogen würde, das Bankensystem würde unter erheblichen Druck geraten, der Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten ginge verloren, und es müssten Kapitalverkehrskontrollen eingeführt werden.
Da nicht alle auf Euro lautenden Schuldtitel in die neue schwache Währung umgewandelt werden könnten, wäre eine Welle an Zahlungsausfällen die Folge, was einen starken konjunkturellen Abschwung auslösen würde. Die Vorteile der Abwertung würden zum Teil durch eine höhere Inflation zunichtegemacht.
Sollte hingegen ein strukturell starkes Land, zum Beispiel Deutschland, aus dem Euro aussteigen, würde seine neue Währung erheblich aufgewertet. Dies wiederum würde die Wirtschaft einem deflationären Schock aussetzen und die Exporte erheblich belasten. Gleichzeitig würden Anleger, die bei auf den schwächeren Euro lautenden Vermögenswerten engagiert sind, Kapitalverluste erleiden. Konkret erscheint es unwahrscheinlich, dass sich in Deutschland eine politische Mehrheit gegen den Euro finden könnte, solange die wirtschaftlichen Vorteile, gerade auch hinsichtlich der Währungsstabilität, gegenüber den wahrgenommenen Kosten, wie etwa den Finanztransfers in die Peripherie, überwiegen.
Während ein freiwilliger Austritt aus der EU (und somit aus dem Euro) in den EU-Verträgen vorgesehen ist, wie am Beispiel Brexit ersichtlich, gilt dies für einen Ausschluss aus dem Euro nicht. Versuche, ein Land auszuschliessen, würden äusserst negative Signale in Bezug auf die Zukunft Europas im Allgemeinen und der Währungsunion im Speziellen senden.
Urs Kundert, Credit Suisse Leiter Entrepreneurs und Executives Ostschweiz