Nach dem Börsengang wird der Schienenfahrzeughersteller Stadler die Investoren mit Verlässlichkeit und Ausdauer bei Laune halten müssen. Kleinanleger werden nur einen geringen Anteil am Unternehmen kontrollieren.
Wenn die Banken am Donnerstag um 12 Uhr mittags ihre Orderbücher schliessen, wird auch Peter Spuhler, Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident von Stadler, Gewissheit haben: Der Börsengang ist nur der erste Schritt auf dem langen Weg zur Schaffung einer Volksaktie. Zwar weiss man schon länger, dass die inländische Nachfrage nach den Beteiligungspapieren des Bahnbauers riesig ist und das Angebot von maximal 40,25 Millionen Titeln aus Spuhlers Beständen weit übersteigt.
Doch von einer ausgeglichenen Streuung der Papiere über alle Haushalte hinweg, wie dies der Begriff Volksaktie suggeriert, wird man auch bei Stadler nicht sprechen können. Schliesslich kann auch der Selfmade-Unternehmer die ökonomische Realität in der Schweiz nicht auf den Kopf stellen. Über 50 Prozent der Steuerpflichtigen vereinen zusammen weniger als 2 Prozent der Vermögen auf sich, klammert man die Zwangsersparnisse in den Pensionskassen aus. Mit anderen Worten: Die Mehrheit der Schweizer Bevölkerung hat gar nicht genügend Geld auf der hohen Kante, um sich an einem Börsengang zu beteiligen.
In Kenntnis dieser Tatsache wird auch Stadler den für die Zuteilung der Aktien zuständigen Banken keine unlösbare Aufgabe gestellt haben. Die Aktien müssen dort platziert werden, wo das grösste finanzielle Potenzial liegt. Das sind zunächst die institutionellen Anleger wie Anlagefonds, Pensionskassen oder Versicherungen und dann natürlich auch die reichere Hälfte der Bevölkerung mit Priorität von oben nach unten.
Ein Restposten verbleibt für die Kleinanleger, die oft mit strategisch wenig durchdachten Einzelinvestments das Glück an der Börse suchen. Selber kann sich Stadler über die Strategie der Aktienverteilung nicht äussern. Denn die Zeit unmittelbar vor dem Börsengang ist heikel.
Offensichtlich ist indessen, dass der Name Stadler im investmentaffinen Teil der Schweizer Bevölkerung einige Zugkraft hat. Sprecherin Tina Helfenberger von der Thurgauer Kantonalbank sagt:
«Da Stadler ein lokal verankertes Thurgauer Unternehmen ist, spüren wir im Vergleich zu den Börsengängen anderer Firmen ein stärkeres Interesse unserer Kundinnen und Kunden.»
Bei der Aargauischen Kantonalbank weiss Sandra Aebli, dass das Interesse zwischen vermögenden Private-Banking-Kunden und dem breiten Retail-Publikum, Stadler-Aktien zu zeichnen, etwa gleichmässig verteilt ist. Kunden, die erstmals Aktien zeichnen, seien allerdings kaum vorhanden. Solches Verhalten passt zu dem, was die Luzerner Kantonalbank propagiert: «Ergibt die Anlagestrategie des Kunden, dass sich ein Engagement in Aktien nicht eignet, sollte auch für eine Volksaktie keine Ausnahme gemacht werden», sagt Reto Lötscher, Leiter Finanzanalyse.
Dass der Börsengang allein keine Volksaktie schaffen kann, weiss man freilich auch bei Stadler. Sprecherin Marina Winder sagt: «Die Idee der Volksaktie bezieht sich insbesondere auch auf den anvisierten Handel an der Börse. Die Stückelung wurde so vorgenommen, dass der anvisierte Preis der Aktie erschwinglich ist und es jedem Privatinvestor erlauben sollte, über den Markt Aktionär von Stadler zu werden.» Stadler hat denn auch die Aktie im Verhältnis 1:50 gesplittet und den Titel so viel leichter gemacht.
Tatsächlich fällt auf, dass Titel, die am ersten Verkaufstag als Volksaktie angekündigt wurden, oft in eine Enttäuschung für die Anleger mündeten. Die Aktien der Deutschen Telekom haben in den vergangenen 15 Jahren weniger als 40 Prozent an Wert zugelegt, während der Deutsche Aktienindex fast 300 Prozent gestiegen ist. Noch viel länger wurden die Gesichter jener, die sich im frühen 18. Jahrhundert im Goldfieber an der Pariser Compagnie d’Occident des schottischen Hochstaplers John Law beteiligten, der als eigentlicher Erfinder der Volksaktie gilt. Die Firma verbrannte nach einer kurzen Anfangseuphorie wie eine 1.-August-Rakete.
Demgegenüber mutierte der Ölkonzern Royal Dutch Shell in seiner fast 200- jährigen Geschichte erst über eine lange Zeit zu einer in ganz Europa beliebten «Witwen-und-Waisen-Aktie». Die Erdölproduktion bewährte sich über ein ganzes Jahrhundert als krisensicheres Geschäft, das die jährliche Zahlung hoher Dividenden erlaubte. So wurden die Aktien in einer Zeit, als sichere Renten einer kleinen Minderheit vorbehalten waren, zu einem idealen Sparvehikel. Diesem Anspruch wird Stadler in der Schweiz nicht mehr genügen müssen.
Börsenkotierte Unternehmen müssen Transparenz walten lassen. Das gilt auch betreffend Vergütung des Topmanagements und dessen Beteiligung am Unternehmen. Bisher war bekannt, dass Stadler-Patron und Verwaltungsratspräsident Peter Spuhler 79,95 Prozent an Stadler hält und weitere 17 Mitglieder der Konzernleitung und des Verwaltungsrats 6,89 Prozent halten. Spuhlers Paket ist, geht man von einem Wert von etwa 40 Franken pro Aktie aus, 3,2 Milliarden Franken wert. Von den anderen 18 Mitgliedern des Topmanagements hält einzig Barbara Egger-Jenzer (noch) keine Aktien, da sie erst vor ein paar Wochen in den Verwaltungsrat gewählt worden ist, als erste Frau. In der Konzernleitung sitzt mit Generalsekretärin und Kommunikationschefin Marina Winder ebenfalls eine Frau.
Aus dem Kotierungsprospekt ist ersichtlich, dass die grössten Einzelaktionäre nach Spuhler (und der deutschen RAG-Stiftung mit 10 Prozent) die Verwaltungsräte Christoph Franz (Verwaltungsratspräsident von Roche, Ex-Chef von Swiss und Lufthansa) und Fred Kindle (Ex-Chef von Sulzer und ABB) sind. Sie halten je 1,3 Prozent oder je 1,3 Millionen Aktien im Wert von geschätzt über 50 Millionen Franken. In der Konzernleitung hat Stadler-Chef Thomas Ahlburg am meisten Aktien – eine halbe Million – im Wert von 20 Millionen. Und selbst jene Mitglieder des Topmanagements, die am wenigsten Aktien haben, nämlich je 40'000, sind Vermögensmillionäre.
Die Generalversammlung im März hat sich auf die maximalen Vergütungen für das Geschäftsjahr 2020 geeinigt. Demnach wird die zehnköpfige Konzernleitung mit maximal 8,28 Millionen Franken entlöhnt und der neunköpfige Verwaltungsrat mit 2 Millionen Franken. Der Kotierungsprospekt zeigt ferner, dass Stadler für die fünf Geschäftsjahre von 2014 bis 2018 Dividenden von insgesamt 230 Millionen Franken ausgeschüttet hat. Für 2019 strebt Stadler eine Ausschüttung von «mindestens 120 Millionen» an. Mit dem Börsengang sinkt Spuhler Anteil an Stadler auf wenigstens 39,7 Prozent. (T. G.)