Früher ein Festessen, heute verpönt: Das Suppenhuhn genügt unseren Gaumen nicht mehr. Was bleibt, ist der Bioreaktor.
Das Leben einer Legehenne ist in der Regel kurz. Nur eine Legesaision lang werden Eier gelegt. Dann muss das Huhn ersetzt werden, denn die Legeleistung nimmt ab, die Grösse und die Qualität der Eierschalen ändern sich. Eigentlich werden Hennen bis zu fünf Jahre alt. Früher wanderten noch einige als Suppenhuhn in den Kochtopf. Heute ist das kaum mehr üblich, weiss man bei Gallo Suisse. Und Beatrice Baumann von der Tierhilfe Schweiz im Thurgau bestätigt, dass immer weniger Suppenhühner gefragt seien.
Dafür breitet sich ein anderer Trend aus, der allerdings bislang nur ein Tropfen auf den heissen Stein ist. Statt sie zu töten, geben einzelne Bauern ihre ausgemusterten Legehennen ab. Bei diversen Stiftungen und auf verschiedenen Internetportalen werden ausgestallte Legehennen zur Abgabe angeboten. So auch insgesamt 2000 Hühner und einige Hähne vom thurgauischen Zwickyhof, die bis gestern ein neues Zuhause finden konnten. Über die Stiftung Stinah (www.rettetdashuhn.ch) sind bislang insgesamt rund 10000 Hühner vermittelt worden. Doch die allermeisten Legehennen haben nicht so viel Glück. Immer mehr landen nach der Ausstallung auch in Biogasanlagen.
«Food – Feed – Energy» ist ein durchaus wertvolles Prinzip im Umgang mit Lebensmitteln. Es besagt, dass beispielsweise von einem geschlachteten Tier möglichst viele Stücke für die menschliche Ernährung verwendet werden sollen. Was wir nicht essen können – oder wollen –, soll als zweite Option in der Futtermittel- oder Pharmaindustrie Verwendung finden. Als dritte und endgültige Verwertung bleibt der Bioreaktor, wo die gärenden Reste noch einen Beitrag zur Energiewende beitragen sollen. Aus ökologischer oder ethischer Sicht sinnvolle Nutzungsstufen. Ob ein Stück Fleisch auf unseren Tellern oder in der Biogasanlage landet, hängt allerdings auch stark von der Nachfrage beziehungsweise der gesellschaftlichen Entwicklung ab.
Beispiel Legehenne: Ein Huhn, das vor 50 Jahren in der Schweiz Eier legte, wurde vier bis fünf Jahre alt und kam am Ende seiner Nutzung als Suppenhuhn, wenn nicht sogar als Sonntagsschmaus auf den Tisch. Heute ist das anders. Die moderne Henne hat ihren Dienst als Eierlieferantin zwar bereits im Alter von gut 1,5 Jahren erreicht, ihr Fleisch aber genügt unseren heutigen Ansprüchen an Pouletfleisch nicht mehr. Zum Vergleich: Masthühner, die ausschliesslich für die Fleischproduktion gezüchtet werden, sind nach sechs Wochen schlachtreif.
Im Gegensatz zu Schweinen oder Rindern, bei welchen das Fleisch alter Milchkühe oder Zuchtsauen zumindest noch zu Wurst, Burger oder Salami verarbeitet werden kann, gibt es für die 2,5 Millionen jähr- lich anfallenden Legehennen marktbedingt nur eingeschränkte Verwendungszwecke in der Lebensmittelindustrie. Ein Problem, das sich seit diesem Jahr wieder verschärft hat, wie Daniel Würgler, Präsident des Eier-Branchenverbandes Gallo Suisse, erklärt. Denn für den Grossteil der ausgemusterten Tiere habe man in den vergangenen Jahren mit einem Betrieb in Süddeutschland eine Lösung gefunden. Dieser verarbeitete bisher drei Viertel der Schweizer Legehennen. Das Fleisch fand dann auf verschiedenen Absatzkanälen den Weg zurück in die Schweiz.
Nun hätten aber die grossen Schweizer Pouletschlachtbetriebe in moderne Anlagen investiert, die das Ausbeinen vereinfachten. Das sei bisher Handarbeit gewesen und habe das sogenannte Schenkelfleisch verteuert und so dem Hennenfleisch einen preislichen Vorteil verschafft. «Durch die modernen Anlagen ist dieser Vorteil weg», sagt Würgler.
Ein Argument, das die Coop-Tochter Bell, die in Zell jährlich rund 20 Millionen Geflügel schlachtet, nicht gelten lässt. Denn: «Pouletschenkelfleisch setzen wir mehrheitlich im Convenience-Sortiment ein. Entbeintes Fleisch von Suppenhennen unterscheidet sich hinsichtlich Qualität jedoch stark von Pouletschenkelfleisch (Farbe, Textur und Geschmack) und eignet sich daher nicht für den Einsatz im Convenience-Sortiment», schreibt Bell auf Anfrage.
Fakt ist, dass Ende 2018 der Absatz von Hennenfleisch in der Schweiz eingeknickt ist. «Wir sind auf der Suche nach einer neuen Verwertung», sagt Würgler. Dabei prüfe man sämtliche Lösungen. «Pro Haushalt ein Suppenhuhn im Jahr, und das Problem wäre gelöst», rechnet Würgler vor. Aber eben, bestimmt wird am Verkaufsregal. Eine Regel, welche die grossen zwei in der Branche bestätigen. Die Migros-Tochter Micarna hält dazu fest, dass «man das produziert, was vom Kunden für den Markt verlangt wird». Die Coop-Tochter Bell schreibt: «Unsere Marktpartner bedienen wir entsprechend ihrem Bedarf mit Suppenhennen.»
Auch Bell schreibt, dass man mit Marktpartnern und Vertretern aus dem Legehennen-Sektor nach Lösungen suche für den Ausbau der Vermarktung von Suppenhennen. Wie das aussehen könnte, ist noch offen.
Als zusätzliche Herausforderung bleibt die Saisonalität. Eier werden auf Ostern und Weihnachten hin produziert. Entsprechend fallen viele Hühner gemeinsam aus der Produktion und müssen schnell verarbeitet und vermarktet werden. Auch deshalb scheint sicher: Wenn sich im Bereich Lebensmittel kein Kanal öffnen sollte, werden die bisher in Deutschland verarbeiteten Hühner in der Biogasanlage enden. Der Bereich Futtermittel ist tabu. Seit der BSE-Krise ist das Verfüttern von Tiermehl in der Schweiz ver boten.