Billag-Schlupfloch wird zum Politikum

Live SRF schauen, ohne Billag-Gebühren zu bezahlen? Das ist heute auf dem Internet ganz legal und ohne Probleme möglich. Besonders kurios: Ausgerechnet auf der Webseite des Schweizer Fernsehens lässt sich gebührenfrei fernsehen.

Roger Braun
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Auf die Webseite kommt es an: Wer sich auf wilmaa.ch «10vor10» anschaut, muss Billag-Gebühren bezahlen; wer dasselbe auf srf.ch tut, kommt gebührenfrei davon. (Bild: Ralph Ribi (Ralph Ribi))

Auf die Webseite kommt es an: Wer sich auf wilmaa.ch «10vor10» anschaut, muss Billag-Gebühren bezahlen; wer dasselbe auf srf.ch tut, kommt gebührenfrei davon. (Bild: Ralph Ribi (Ralph Ribi))

Einst war die Sache einfach. Wer ein Fernsehgerät besass, musste die Billag-Gebühren bezahlen. Dann kam das Internet – und plötzlich wurde unklar, wer alles abgabepflichtig ist. Immer mehr Leute verfügen heute über kein eigentliches TV-Gerät mehr, sondern schauen über Computer, Laptops oder Smartphones fern. Müssen sie Billag-Gebühren bezahlen? Einfach ist die Antwort nicht, denn nur weil jemand Zugang zum Internet hat, heisst dies nicht automatisch, dass er oder sie TV schaut.

Das Internet ist auch ein TV

Der Bund tut sich schwer mit dem Problem. Von «komplizierten Abgrenzungen», von «Rechtsunsicherheiten» und von «Verunsicherung» bei Konsumentinnen und Konsumenten ist die Rede. Die heutige Praxis sieht folgendes vor: Ein fernsehloser Haushalt mit Internetanschluss ist dann abgabepflichtig, wenn er sich auf einer Webseite für Internet-Fernsehen registriert hat. Damit zielt der Bund nicht nur auf kostenpflichtige Angebote, sondern auch auf die populären kostenlosen Anbieter wie Wilmaa oder Zattoo, die unter anderem auch das Programm von SRF ausstrahlen. Um diese zu konsumieren, muss man sich registrieren. Dadurch wird die Billag-Gebühr fällig.

Entwicklung verschlafen

Das Problem ist: Das Kriterium der Registrierung ist hoffnungslos veraltet. Inzwischen gibt es Anbieter wie Swisscom TV, die Live-Fernsehen ohne Registrierungszwang anbieten. Besonders paradox: Der Sender SRF – für den ja die Gebührengelder bestimmt sind – bietet auf seiner Webseite Live-Übertragungen sämtlicher SRF-Fernsehprogramme an. Und zwar ohne Registrierungspflicht. Wer diese konsumiert, muss also keine Gebühren bezahlen. Anders gesagt: Wer auf der Wilmaa-Webseite RTL, Pro7 oder Sat1 schaut, muss Billag-Gebühren (für die SRG) bezahlen. Ausgerechnet jene, die auf der SRF-Webseite gezielt SRF-Sendungen konsumieren, kommen dagegen ungeschoren davon.

«Damals noch sachgerecht»

Das Bundesamt für Kommunikation Bakom erklärt die ungleiche Behandlung mit der technologischen Entwicklung. «Als diese Praxis 2008 das erste Mal angewendet wurde, war es noch nicht möglich, TV-Sendungen live auf der SRF-Webseite zu schauen», sagt Kommunikationschefin Caroline Sauser. «Damals war diese Praxis sicher noch sachgerecht.»

Auf der SRF-Webseite gibt es seit über zwei Jahren Live-Sendungen zu sehen. Hätte man die Regelung nicht schon längstens anpassen sollen? Sauser erklärt, dass man darauf verzichtet habe, weil das Gebührensystem mit dem neuen Radio- und Fernsehgesetz ja grundlegend umgebaut werden soll. Allerdings: Dieses neue Gesetz ist noch lange nicht im trockenen. Am 14. Juni stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung darüber ab. Künftig soll jeder Haushalt abgabepflichtig sein – unabhängig davon, ob er ein Empfangsgerät besitzt oder nicht. Für Firmen ist die Abgabe ab einem Umsatz von 500 000 Franken fällig. Der Schweizer Gewerbeverband hat das Referendum ergriffen.

«Veraltet und überholt»

Die Befürworter und Gegner nehmen die neuen Erkenntnisse zum Anlass, für ihre Sache zu werben. Die CVP als Leadpartei des Pro-Komitees findet es unverständlich, wieso jemand, der auf unterschiedlichen Webseiten SRF schaut, anders behandelt wird. «Dieses Kuriosum unterstreicht, dass die heutige Gebührenregelung komplett veraltet und überholt ist», sagt Kommunikationschef Thomas Jauch. Für ihn braucht es keine punktuelle Anpassungen, sondern ein grundlegend neues Gesetz. «Heute, wo viele Leute übers Internet fernsehen, ist es nicht mehr möglich, zu klären, wer Fernsehprogramme konsumiert und wer nicht.» Es mache deshalb Sinn, dass die SRG künftig über eine geräteunabhängige Abgabe finanziert werde.

Was hält der Schweizerische Gewerbeverband von der kuriosen Gebührenpflicht für Internetfernsehen? Direktor Hans-Ulrich Bigler räumt ein, dass die heutige Regelung «vielleicht nicht perfekt» sei. Dies sei aber noch lange kein Grund eine Gebührenpflicht für alle zu schaffen. «Einfach eine neue Steuer einzuführen, mag für die Beamten zwar bequem sein, aber dies ist höchst ungerecht. Nur weil viele Leute Zug fahren, führen wir ja auch nicht einfach eine SBB-Steuer ein.»

Der Gewerbeverband schweigt sich dazu aus, wie ein künftiges Finanzierungssystem im Detail aussehen soll. Stattdessen greift Bigler das Pro-Lager an. «Die Befürworter behaupten fälschlicherweise, dass alle Haushalte und Firmen mit Internetanschluss Billag-Gebühren bezahlen müssen. Das ist nun definitiv als falsch entlarvt.» Bigler gerät in Fahrt. «Es grenzt an Verleumdung, wenn das Pro-Lager die Firmen, die keine Billag-Gebühren bezahlen, pauschal und ohne Grundlage als Schwarzseher brandmarkt.»

Wie viele schauen schwarz?

Thomas Jauch von der CVP bleibt dabei. «Es liegt auf der Hand, dass ein Grossteil der Unternehmen heute Programme schwarz konsumiert.» Dieser Zustand sei unhaltbar. «Heute bezahlen weniger als 6 Prozent der Firmen Fernsehgebühren – es ist doch offensichtlich, dass hier etwas nicht stimmen kann.» Es sei nicht mehr als fair, dass auch die Firmen ihren Teil zu einem leistungsfähigen Service public beitrügen.

Hans-Ulrich Bigler Direktor Gewerbeverband

Hans-Ulrich Bigler Direktor Gewerbeverband

Thomas Jauch Kommunikationschef CVP Schweiz

Thomas Jauch Kommunikationschef CVP Schweiz