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Immer noch gibt es in Europa viele Bahnstrecken oder Teile davon, die nicht elektrifiziert sind. Statt Dieselzügen steht eine umweltfreundliche Alternative bereit: Batteriezüge. Stadler hat nun ein dreijähriges Forschungsprojekt erfolgreich abgeschlossen.
54 Prozent des europäischen Schienennetzes verfügen über eine Oberleitung. In Deutschland sind es 60 Prozent, bis 2025 sollen es 70 Prozent sein. Das heisst auf der anderen Seite: Immer noch gibt es Lücken mit Strecken ohne Oberleitung oder nur auf Teilabschnitten.
Die Lösung lautet bisher: Auf nichtelektrifizierten Strecken setzt man Dieselzüge ein, auf nichtelektrifizierten Teilstrecken kann auch ein dieselelektrischer Zug die Lücke in der Oberleitung überbrücken.
In Zukunft dürften aber vermehrt CO2-emissionsfreie Fahrzeuge zum Einsatz kommen. Dafür bieten sich die Brennstoffzelle, also ein Zug mit Wasserstoffantrieb, oder die Batterie an. Zumal umweltfreundliche Schienenfahrzeuge ein wichtiger Baustein zur Erreichung der EU-Klimaziele sind.
Der Ostschweizer Schienenfahrzeugbauer Stadler hat 2018 ein Forschungsprojekt gestartet, um die Batterietechnologie auf der Schiene zu entwickeln und zu erproben. Bereits im Oktober 2018 stellte Stadler der Öffentlichkeit den Prototypen vor, einen dreiteiligen Batteriezug des Typs Flirt Akku, der vom Stadler-Gelände in Berlin-Pankow nach Schildow in Brandenburg fuhr, ohne externe Stromzufuhr.
Drei Jahre sind seit dem Start des Forschungsprojekts vergangen, das gefördert wurde vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. Nun meldet Stadler: Projekt erfolgreich abgeschlossen. Eines der wichtigsten Ergebnisse: Das Testfahrzeug hat im reinen Batteriebetrieb eine maximale Reichweite von 185 Kilometern erzielt. Damit seien die ursprünglichen Erwartungen «weit übertroffen» worden. Denn: Anlässlich der Vorstellung des Prototypen im Herbst 2018 war die Rede gewesen von 80 Kilometern, Mitte 2019 dann von 150 Kilometern.
Evelyn Thiel ist technische Leiterin des Forschungsprojekts bei Stadler. Sie sagt, während der Projektarbeit zusammen mit der Technischen Universität Berlin und dem Energieversorger EWE habe man «wertvolle Erkenntnisse zur Weiterentwicklung der Batterietechnologie» gewonnen.
Seit seiner Vorstellung im Herbst 2018 habe der Flirt Akku, der vollständig für den Fahrgastbetrieb zugelassen ist, 15'000 Kilometer im reinen Batteriebetrieb zurückgelegt. Dabei habe man auch Szenarien erprobt wie beispielsweise das Aufholen von Verspätungen oder den Einsatz unter extremen Witterungsbedingungen. Evelyn Thiel sagt:
«Im Sommer 2019 haben wir den Flirt Akku während einer Hitzewelle bei 40 Grad Aussentemperatur und vollem Einsatz der Klimaanlage ebenso getestet wie im Winter 2021 während zweistelliger Minusgrade.»
Resultat: «Der Einsatz im reinen Batteriebetrieb war dabei jederzeit uneingeschränkt möglich, ohne dass wir an den unteren Grenzwert der Kapazität gestossen sind», sagt Thiel.
Der Flirt Akku ist 140 km/h schnell. Geladen werden können die Batterien während der Fahrt unter Oberleitung und an nichtelektrifizierten Endhaltepunkten. Zusätzlich können die Batterien über die beim Bremsvorgang erzeugte Energie wieder aufgeladen werden.
Stadler sieht für den Flirt Akku Marktchancen im Regionalverkehr in Deutschland, Österreich, Grossbritannien, Italien, den Niederlanden und in weiteren Ländern mit einem nennenswerten Anteil nichtelektrifizierter Strecken.
Einen ersten Grossauftrag hat Stadler bereits an Land gezogen. Mitte 2019 gewann das Unternehmen eine Ausschreibung des Nahverkehrsverbunds Schleswig-Holstein. Dieser hat 55 zweiteilige Flirt Akku inklusive Instandhaltung während 30 Jahren für 600 Millionen Euro bestellt. Die Züge sollen ab Ende 2022 Dieselfahrzeuge ablösen.
Mit dem Flirt H2 hat Stadler auch einen emissionsfreien Wasserstoffzug entwickelt. Ein Flirt H2 soll ab 2024 im Süden Kaliforniens verkehren. Zudem hat die Tiroler Zillertalbahn bei Stadler fünf Wasserstoffzüge bestellt.
An alternativen Antrieben arbeiten auch andere Bahnbauer. So hat beispielsweise Alstom mit dem Coradia iLint ebenfalls einen Wasserstoffzug im Programm.