Der Grund für den Rücktritt Benedikts XVI. sei nicht in seiner gesundheitlichen Schwäche zu suchen, schreiben die italienischen Zeitungen. Die wahre Ursache liege in den Intrigen in der Kurie.
«Was wir hier sehen, ist das extreme, finale und unwiderrufliche Symptom der Krise der Kirchenregierung und des Papsttums; wir erleben die Rebellion eines Heiligen Vaters gegen eine Kircheninstitution, die in wenigen Jahren von einem moralischen Referenzpunkt zu einer globalen Angeklagten, von einer ‹Meisterin des Lebens› zu einer ‹Sünderin› geworden ist», schrieb der «Corriere della Sera» gestern zum Rücktritt des katholischen Oberhirten.
Joseph Ratzinger habe während seiner Amtszeit beinahe verzweifelt versucht, die verkrusteten Strukturen der Kurie aufzubrechen, Transparenz zu schaffen und dubiose Finanztransaktionen abzustellen – doch der Römer Machtapparat der Kirche, den er als langjähriger Präfekt der Glaubenskongregation eigentlich bestens zu kennen glaubte, habe ihn auflaufen und scheitern lassen.
Kette von Konflikten und Verrat
Ratzinger habe unter dem Missbrauchskandal gelitten, und auch die oft kritischen Kommentare aus seiner Heimat hätten ihm zugesetzt – doch das Fass zum Überlaufen gebracht hätten die Intrigen in der «Schlangengrube Kurie»: In diesem Punkt sind sich die italienischen Vatikankenner einig. «Es ist die lange Kette von Konflikten, Manövern und Verrat im Schatten der Kuppel von St. Peter, die einem eigentlich unbegreiflichen Entscheid einen Sinn geben», schreibt der «Corriere».
Tatsächlich hatte Benedikt XVI. die Machtbesessenheit und die Karrieresucht innerhalb der Kirche während des Vatileaks-Skandals selber gegeisselt. Dieser Skandal, in dessen Zentrum als Zielscheibe der machtbewusste Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone stand, ist alles andere als ausgestanden. Der Butler des Papstes, der vertrauliche Dokumente vom Schreibtisch seines Dienstherrn gestohlen und an die italienischen Medien weitergeleitet hatte, hat in seinem Prozess erklärt, er habe so gehandelt, «um den Papst zu schützen».
Zu schützen vor wem? Der Banker Ettore Gotti Tedeschi, der 2009 von Benedikt geholt wurde, um in der skandalumwitterten Vatikanbank IOR aufzuräumen und nach einem Machtkampf unter den Kardinälen im letzten Mai Knall auf Fall als IOR-Chef entlassen wurde, ist nach acht Monaten noch immer nicht ersetzt worden. Warum?
Niederschmetternder Bericht
Der «Corriere» erwähnt den «Geheimbericht» dreier Kardinäle an den Papst, der so niederschmetternd gewesen sei, dass Benedikt resigniert habe. Die Kardinäle waren von Ratzinger im April 2012 auf dem Höhepunkt der Vatileaks-Affäre eingesetzt worden, um nach den «Maulwürfen» und «Raben» in der Kirchenverwaltung zu fahnden. Der Bericht, den die Kardinäle dem Papst persönlich überreichten, ist nie veröffentlicht worden. Erschrocken ist offenbar vor allem der betagte Pontifex selber – ob des Sumpfes in der Kurie.
Ein Zeichen dafür, wie sehr das Vertrauensverhältnis zwischen Papst und Apparat gestört war, ist der Umstand, dass praktisch niemand im Vatikan von den Rücktrittsabsichten wusste – obwohl der Papst den Entscheid bereits anlässlich seiner Mittel- und Südamerikareise im letzten März gefällt habe, wie die Vatikanzeitung «L’Osservatore Romano» gestern berichtete.
«Wie ein Blitz aus heiterem Himmel» sei für ihn der Rücktritt des Papstes gekommen, sagte etwa Angelo Sodano, der Dekan des Kardinalskollegiums. Er kennt Ratzinger seit Jahrzehnten – und wusste trotzdem von nichts.
Während eines sintflutartigen Gewitters schlug am Montagabend auch noch ein echter Blitz in die Kuppel des Petersdoms – ein symbolträchtigeres Bild für den Tag des Papst-Rücktritts hätte der heilige Petrus nicht liefern können.