Wie ein Relikt aus vergangener Zeit

Bei seiner letzten WM-Teilnahme 2010 prügelte sich Timo Helbling mit dem deutschen Assistenztrainer. Heute um 16.15 Uhr messen sich der kräftige Verteidiger und die Schweiz wieder mit den ungeliebten Nachbarn.

Nicola Berger/Prag
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EISHOCKEY. Profisport ist im Jahr 2015 Showbusiness. In diesen Gefilden sollte man vorsichtig sein im Gebrauch von martialischen Begriffen, wo in so vielen Konfliktgebieten täglich Menschen sterben. Und doch fiel dem Schweizer Nationaltrainer Glen Hanlon kein passenderes Wort ein, um seinen Verteidiger Timo Helbling zu beschreiben, als Krieger. Doch man kann verstehen, wie Hanlon auf die Charakterisierung kam: Helbling gilt als einer der härtesten Spieler des Landes. Der heute 33-Jährige tingelte sechs Jahre durch die AHL, die rauhe Farmteam-Liga Nordamerikas, deren Anhänger Faustkämpfe mindestens so frenetisch beklatschen wie Tore.

Die Zeit in Übersee hat Helbling geprägt, weil er gelernt hat, wie man austeilt und einsteckt. Aber auch wegen seiner Persönlichkeit. Der 1,90 Meter und 100 Kilogramm schwere Verteidiger spielte für die NHL-Organisationen von Nashville, Tampa Bay und Washington – immer auf amerikanischem Boden. Seither umweht ihn das Flair des amerikanischen Bürgern eigenen Selbstvertrauens: Man erlebt selten, dass er an den eigenen Fähigkeiten zweifelt.

«Effektiv, wenn er simpel spielt»

Dabei ist Helbling seit seiner Rückkehr in die Schweiz im Jahr 2007 oft kritisiert und manchmal belächelt worden, weil er mit seiner Masse und Spielweise wie ein Relikt aus der Epoche vor «Null Toleranz» wirkt. In Lugano musste Helbling einst mitten in der Saison weichen, nach einem Eclat im Training mit Trainer Philippe Bozon. Und auch in Zug wurde er nicht glücklich, weil er sich selbst überschätzte und sich plötzlich befähigt sah, das Powerplay zu leiten. Dabei hat der frühere Zuger Trainer Doug Shedden einmal treffend formuliert: «Wenn Timo simpel spielt, ist er sehr effektiv. Aber wenn er die Scheibe zu lange hält, passieren schreckliche Dinge.»

Helbling sieht das natürlich anders. Er sagt: «Mein Spiel ist in den letzten vier Jahren kompletter geworden.» Bei Fribourg, seinem letzten Arbeitgeber, würden das nicht alle unterschreiben. Aber gerade hat ihn Ligakonkurrent Bern verpflichtet, im Tausch mit Ryan Gardner. Der Wechsel nach Bern ist für Helbling eine Genugtuung – und eine Chance. Noch nie hat er einen Titel gewonnen. «In meinem Alter werden die Gelegenheiten seltener.»

Unrühmlicher Schlusspunkt

Helbling verhandelte in diesem Frühling auch mit anderen Clubs. Aber das Berner Interesse schmeichelte ihm ebenso wie die Aufmerksamkeit des Nationaltrainers. Hanlon signalisierte Helbling früh, dass er an der WM Verwendung für ihn haben könnte. Für Helbling kam die Wertschätzung nicht überraschend – anders als für viele Beobachter. Der Aargauer kommt inzwischen zwar auf 78 Länderspiele, aber eine WM hat er seit 2010 nicht mehr bestritten.

In Mannheim war er damals für den unrühmlichen Schlusspunkt des ersten Turniers unter Sean Simpson verantwortlich, als er sich im Nachgang an den mit 0:1 verlorenen WM-Viertelfinal gegen den Gastgeber mit dem deutschen Assistenztrainer Ernst Höfner prügelte. Blutend stürzte Helbling damals in die Kabine, es war das grosse Symbolbild für das schmerzhafte Schweizer Scheitern gegen den ewigen Rivalen. Helbling erhielt für sein Vergehen eine Matchstrafe und hätte deshalb ein Spiel aussetzen müssen. Doch die Sperre verjährte nach der WM 2011 in der Slowakei.

Im Lift kommt die Angst

Helbling musste gestern lange über die Geschehnisse von damals sprechen. Er sagte, er sei nicht stolz auf die Ereignisse – und scherzte, manchmal umtreibe ihn im Hotellift die Angst vor Racheaktionen, weil die Schweiz am gleichen Ort logiert wie die Deutschen. Furcht kann Nationalcoach Hanlon in seiner Equipe heute nicht gebrauchen. Er sagte, er erwarte einen harten Kampf, man müsse den robusten Deutschen physisch entgegenhalten. Es klang nach einem Auftrag für den «Krieger» Helbling.