Tennisreporter Simon Häring berichtet hier von Nebenschauplätzen seines Arbeitsaufenthalts an den Australian Open.
Die Zeitverschiebung kann sowohl Segen wie Fluch zugleich sein. Ein Fluch, wenn die Geschichten in kurzer Zeit entstehen müssen, was Flüchtigkeitsfehler begünstigt. Sie ist ein Segen, wenn sie einem die Möglichkeit gibt, noch Stunden an einer Formulierung zu feilen, weil der Redaktionsschluss noch in weiter Ferne liegt. Wie im australischen Sommer, wo die Uhren im Vergleich zu Ihren um zehn Stunden vorgehen und sich der Tag bereits dem Ende nähert, wenn Sie mit Ihren Bürokollegen eine Kaffeepause machen und vielleicht diese Zeilen lesen.
Das gibt uns die Freiheit, unsere Geschichten nach dem letzten Spiel in unserer Unterkunft in ihre finale Form zu giessen. Wir entziehen uns damit auch den Hunderten Kollegen, die im Medienzentrum auf engem Raum und unter erhöhtem Lärmpegel arbeiten. Schliesslich dürfen wir uns besonders glücklich schätzen, verfügt das Appartement, das ich in diesem Jahr mit einer Kollegin vom «Blick» teile, doch auch noch über einen Balkon.
Arbeiten unter freiem Himmel, an einem milden Sommerabend, mit einem Glas Wein auf dem Tisch – aus diesem Stoff sind meine Träume gestrickt. Doch diese Rechnung habe ich ohne unseren temporären Nachbarn gemacht. Es scheint sich um einen entspannten Zeitgenossen zu handeln. Wenn wir am Morgen auf dem Balkon unseren ersten Kaffee trinken, liegt bereits der Duft von Marihuana in der Luft. Ein Kiffer. Und ohne mich hier auf politisches Glatteis zu begeben – die sind mir nicht per se unsympathisch.
Auch an einem promiskuitiven Lebensstil störe ich mich grundsätzlich nicht. Doch wenn die lieb gewonnene abendliche Arbeitsromantik auf dem Balkon durch lautes Stöhnen aus einem Pornofilmchen gestört wird, hört die Toleranz auch bei mir auf. Und ich beschliesse, künftig wieder in der Enge des Medienzentrums zu arbeiten. Aber vielleicht sehe ich das morgen bereits wieder anders.