Ein überragender Rafael Nadal lässt dem Schweizer Stan Wawrinka im Final der French Open keine Chance und gewinnt mit 6:2, 6:3 und 6:1. Für den 31-jährigen Nadal ist es in Paris schon der zehnte Triumph.
Jörg Allmeroth
Es ist sein Platz, sein Revier, sein rotes Paradies. Und auf der Höhe seiner Kunst kann ihn dort, auf der grossen Grand- Slam-Bühne von Paris, einfach nichts und niemand stoppen. Ihn, Rafael Nadal. Ihn, den besten Sandplatzspieler der Welt. Als gestern Nachmittag abgerechnet war bei den French Open des Jahres 2017, da war sein Rendezvous mit der Ewigkeit hineingezeichnet in die «Terre battue». Da hatte er seine Turniermission mit dem magischen zehnten Titel abgeschlossen: «La Decima», dieser letzte, neueste Karrieremeilenstein des Matadors, war zugleich auch eine der hochwertigsten persönlichen Leistungen im Weltsport dieser Tage.
«Ich bin überglücklich. Mir fehlen die Worte. Das ist der grösste und wichtigste Sieg meiner Karriere», sagte Nadal nach seinem ungefährdeten 6:2-, 6:3-, 6:1-Sieg gegen den Schweizer Stan Wawrinka. Auch jener Wawrinka, der Mann mit dem markigen Spitznamen «Stanimal», konnte Nadals Sturmlauf zum Sieg nicht im mindesten aufhalten, er, dem man als einzigem wirklich Chancen gegen den «Stier von Manacor» eingeräumt hatte, er wirkte genau wie alle anderen Konkurrenten des Spaniers überfordert von dessen Willenskraft und Wucht. Vor einem Jahr noch sass Nadal als tief frustrierter Patient im Presseraum des Stadions Roland Garros. Es war am ersten Turniersamstag, als er seinen bitteren Verletzungsrückzug wegen einer Handgelenksblessur verkünden musste – mit Tränen in den Augen. Gerührt war Nadal auch nun, am 11. Juni 2017, doch aus gutem, aus besserem, aus schönem Grund. Sein Sieg war nicht nur die Bestätigung, dass er – gesund und munter – der Hausherr in Paris ist, die absolute Autorität bei den Rutschübungen im Sand. «La Decima» war auch der End- und Höhepunkt einer zähen Comebackanstrengung Nadals, immer wieder war der 31-Jährige in den vergangenen Jahren von körperlichen Rückschlägen gebeutelt worden, wochen-, monatelang hatte er gefehlt.
Dass er überhaupt jemals wieder in der Weltspitze würde mitspielen können, war keineswegs klar. «Es gab Zweifel, es gab Ängste», sagte Nadal, «aber meine Leidenschaft, wieder stark zurückzukommen, war noch stärker.» Am Boden war er an diesem Finalsonntag auch, der Länge nach im Sand hatte es ihn hingestreckt, aber er war obenauf in diesem Moment, ein stolzer, bewegter Champion.
Im Moment des Triumphs, bei der Ehrung, war er auch noch einmal emotional mit seinem Onkel und Trainer Toni vereint – der Coach, der sich Ende des Jahres anderen Aufgaben widmen wird, überreichte ihm eine Extratrophäe für Titel Nummer zehn. «Ohne ihn, ohne Toni», sagte Nadal, «stünde ich jetzt gar nicht hier.» Paris, der unglaubliche zehnte Sieg Nadals – es war schon der zweite Renaissancemoment eines der Tennistitanen in dieser aussergewöhnlichen Saison. Begonnen hatte das Jahr mit Roger Federers atemraubender Rückkehr aus monatelanger Verletzungsabsenz in Melbourne, er bezwang damals in einem fantastischen Final Nadal, er gewann auch noch die Mastersturniere in Indian Wells und Miami. Dort, im Süden Floridas, prophezeite der Maestro einen Erfolgsmarsch von Nadal im Sand – und er sollte mehr als recht behalten. Bevor er seine Gegner unterm Eiffelturm nach allen Regeln der Kunst niederkämpfte und ausspielte, hatte Nadal nur eine einzige Partie verloren. Die French Open, eines dieser funkelnden Majorturniere, auch die herausforderndste Prüfung der Tenniswelt – sie wurden schliesslich zu einem Solo für den Spanier. Zu bestaunen war ein formvollendeter Alleingang, zum dritten Mal nach 2008 und 2010 gewann Nadal das Turnier ohne Satzverlust.
Seinem langjährigen Weggefährten und Freund Federer ist Nadal mit dem jüngsten Grand-Slam-Coup wieder etwas nähergerückt. Er hat jetzt 15 Majortitel eingesammelt, und damit liegt er alleine auf Platz zwei der ewigen Bestenliste vor Pete Sampras und nur noch drei Siege hinter Federer. «Rafa ist unglaublich», sagte Wawrinka bei der Siegeszeremonie, «ich kann ihm nur zu dieser Leistung gratulieren.» Wawrinka kam auch mit einem entscheidenden Malus in dieses vierte Grand-Slam-Endspiel seiner Karriere: Auf dem Weg zur Verabredung mit Nadal hatte er zu viel Kraft, zu viel Substanz gelassen, besonders noch einmal in dem Viereinhalb-Stunden-Klassiker im Halbfinal gegen Andy Murray. Auf der anderen Seite des Netzes stand ein beinahe ausgeruhter, für Wawrinka entnervend frischer Nadal, der Spanier hatte satte fünf Stunden weniger Spielzeit bis zum Final verbraucht. Dem Westschweizer fielen die Schritte schwer, die weiten Wege in die Ecken, überall dorthin, wo ihn Nadal hinjagte. Nadal gab nur 35 Spiele in den beiden Grand-Slam-Wochen ab, davon sechs im Final. Es scheint, als spielte Nadal in Paris in einem eigenen Tennisuniversum. «La Decima», der zehnte Titel, er bedeutet deshalb auch nicht den French-Open-Schlusspunkt, sondern allenfalls eine Zwischenstation.