RÜCKKEHR: Alles gleich, alles anders

Vier Monate war Nico Stahlberg in Australien. Der Aufenthalt gab dem Thurgauer die Freude am Rudern zurück und die Lust, bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio weiterzumachen.

Raya Badraun
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Nico Stahlberg hat das Rudern in Australien von einer anderen Seite kennen gelernt. (Bild: Andrea Stalder)

Nico Stahlberg hat das Rudern in Australien von einer anderen Seite kennen gelernt. (Bild: Andrea Stalder)

Raya Badraun

Für Nico Stahlberg gab es ­ keine Angewöhnungszeit. Kaum war der Thurgauer vergangene ­Woche mit dem Flugzeug in der Schweiz gelandet, sass er im Clubhaus des RC Kreuzlingen auf dem Ergometer. Und am Wochenende tauchte er ganz in seine alte Welt ein: Er trainierte wieder in Sarnen, dem Stützpunkt der Schweizer Ruderer. «Es ist fast so, als wäre ich nie weg gewesen», sagt Stahlberg. Zwischen zwei Trainingseinheiten sitzt der 25-Jährige in einem Restaurant in Weinfelden, vor sich eine Tasse Kaffee. Es ist ihm anzusehen, dass er diesen Winter nicht in der Schweiz verbracht hat. Vier Monate war er in Melbourne. Seine Haut ist von der australischen Sonne noch immer leicht gebräunt. Doch nicht nur oberflächlich hat die Reise Spuren hinterlassen. Auch sein Gefühl ist ein anderes. Stahlberg hat wieder Lust auf das Training, auf dieses Leben. Bis 2020 will er weitermachen. Dann finden in Tokio die Olympischen Spiele statt. Dafür hat er sich bereits vor seinem Aufenthalt entschieden. Die Zeit in Australien hat jedoch seinen Blick auf den Sport verändert. «Ich weiss nun wieder, warum ich das alles mache», sagt er.

Das war im vergangenen Jahr nicht immer der Fall. Damals drehte sich sein Leben nur noch ums Rudern. Es war die Zeit vor den Olympischen Spielen in Rio. Jeden Tag wurde Stahlberg und seine Kollegen an den Leistungen gemessen. Waren die Zahlen nicht gut genug, schlugen sie auf die Stimmung des Ostschweizers. Der Trainer forderte viel, und Stahlberg wollte den Erwartungen gerecht werden. Es kam zu Übertraining und einer Zwangspause. Am Ende ging die Freude verloren. Das Training war plötzlich mehr müssen als wollen.

«Es war am Ende einfach zu viel», sagt Stahlberg und nimmt einen Schluck Kaffee. «Ich brauchte eine Pause.» Im Herbst nach den Olympischen Spielen reiste er deshalb nach Australien. Er wollte Englisch lernen, Abstand gewinnen.

Velofahren statt Rudern

An Training dachte er im Vorfeld kaum. «Ich wusste nicht, wie viel ich machen würde und ob ich überhaupt etwas machen wollte», sagt Stahlberg. Dennoch blieb das Rudern Bestandteil seines Alltags. Kurz nach seiner Ankunft meldete er sich bei einem Club an. «Um Freunde zu finden», sagt er. So kam er in eine Gruppe und begann mit den Teamkollegen für Rennen zu trainieren. Dennoch war es anders als in Sarnen. Es gab keine vorgeschriebenen Trainingspläne, keinen Zwang. Stahlberg machte das, worauf er Lust hatte. Meist entschied er sich auf dem Weg ins Clubhaus, was er an diesem Tag machen möchte. War das Wetter schön, setzte er sich auf das Velo statt ins Boot. So erkundete er die halbe Stadt. «Alles war lockerer, entspannter, einfacher», sagt Stahlberg. «Ich habe das Rudern von einer ganz anderen Seite kennen gelernt.» Der Sport war wieder Hobby, und Stahlberg ging in den Club, um seine Freunde zu treffen. War das Training nicht ideal, hatte es keine Auswirkungen – weder auf die Stimmung noch auf seine Position im Team.

Das ist nun anders. Stahlberg ist zurück in der Schweiz. Bald stehen die ersten Tests an. «Ob die Zeit in Australien für diese Saison gut war, weiss ich noch nicht», sagt Stahlberg. «Für die Olympischen Spiele in Tokio hilft sie aber bestimmt.»

Ein neuer Alltag in Sarnen

Angst vor dem Alltagstrott, dem alten Leben sozusagen, hat Stahlberg nicht. Da ist nicht nur die neugewonnene Freude, auch sein Tagesablauf wird ein anderer sein. Im kommenden Herbst beginnt er ein Studium in Luzern, Energie- und Umwelttechnik. «In den Jahren davor hatte ich kein Ventil», sagt er. «Der Ausgleich tut mir sicher gut.» Auch sportlich wird sich einiges ändern. Die Schweizer Ruderer haben einen neuen Trainer und im April, da werden die Boote verteilt. Stahlberg rechnet damit, dass es dann keinen Doppelvierer mehr geben wird. Teamkollege Augustin Maillefer fällt wegen einer Handverletzung aus. Deshalb bleiben für die vier Plätze nur noch vier Ruderer übrig. Einen Konkurrenzkampf gäbe es da nicht mehr. Deshalb werden die Athleten wohl auf den Doppelzweier und den Einer verteilt. Stahlberg freut es. Seit 2010 sass er mit seinen Teamkollegen im gleichen Boot. Eine lange Zeit. Nun reizt ihn das Neue, Unbekannte. Er hofft auf einen Platz im Doppelzweier und will wissen, was damit alles noch möglich ist. «Es ist fast so, als wäre ich nie weg gewesen», sagt Stahlberg an diesem Nachmittag in Weinfelden und lächelt. Alles ist gleich geblieben, alles anders geworden.