Monumente einer vergehenden Zeit

WINTERTHUR. Fabrikhallen, Stahlöfen, Fördertürme: Bernd und Hilla Becher haben fünf Jahrzehnte lang eine untergehende Baukultur dokumentiert und gezeigt, welche ungewollten skulpturalen Qualitäten den Relikten der Industriearchitektur innewohnen.

Dieter Langhart
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Industrielandschaft Ruhrgebiet: Duisburg-Huckingen, D, 1970, Silbergelatine-Abzug, 50 x 60 cm. (Bild: (c) Bernd und Hilla Becher/Courtesy of Schirmer/Mosel)

Industrielandschaft Ruhrgebiet: Duisburg-Huckingen, D, 1970, Silbergelatine-Abzug, 50 x 60 cm. (Bild: (c) Bernd und Hilla Becher/Courtesy of Schirmer/Mosel)

Schwarz-weiss, nüchtern, präzise, vor grau fahlem Himmel und fast immer von leicht erhöhtem Standpunkt aus aufgenommen: So sehen die Fotografien des Ehepaars Becher aus, in denen sie seit einem halben Jahrhundert Bergwerke und Hütten im Ruhrgebiet, im Benelux, in Südwales und in den USA aufgenommen haben. Und so zeigt sich auch die Ausstellung im Fotomuseum Winterthur, die die Bilder streng nebeneinanderhängt, geographisch gruppiert. Keine der Aufnahmen wird bevorzugt. Ihre motivische Einheit zwingt den Betrachter, sich auf jede einzulassen, ihre formale Eigenheit zu entdecken und die künstlerische Qualität, die die Bechers faszinierte, die aber den Ingenieuren, Baumeistern und Arbeitern nicht bewusst gewesen war.

Formen unserer Zeit

Anonyme Skulpturen und Industrielandschaften haben die Bechers ihre Bilder genannt; sie sahen sie in den Bauwerken Skulpturen, die absichtslos geschaffen worden waren – und das rückt sie in die Nähe der Landschaftsfotografie, die eine ungewollte Ästhetik abbildet. «Das Hauptziel unserer Arbeit ist, zu beweisen, dass die Formen unserer Zeit die technischen Formen sind, obwohl sie nicht der Form willen entstanden sind», sagten sie 2005 in einem Gespräch. Auch wenn sie ganz dem Gegenstand verpflichtet waren, sind sie nicht wie die Vertreter der «Neuen Sachlichkeit» rein dokumentarisch vorgegangen, sondern haben ihre Bilder zurückhaltend komponiert, und ein innerer Abstand zu den Objekten wird deutlich. Es ging ihnen um den Einklang der Industrieformen und des Lebens, auch wenn Menschen fast nie sichtbar sind, was ihnen oft vorgehalten worden ist. Ihre Spuren hingegen schon, in Wohnhäusern oder Kleingärten; sichtbar ist stets der menschliche Eingriff in die Natur, die Bilder verdeutlichen auch soziale und zeithistorische Aspekte. Gerade Bernd Becher, der im Siegerland aufgewachsen ist, einer der ältesten Bergwerk- und Hüttenregionen Deutschlands, war es bewusst, wie sehr Leben und Arbeit zu jener Zeit ineinandergegriffen haben.

1958 war die erste Zeche im Ruhrgebiet geschlossen worden. Wie ein Walker Evans oder Eugène Atget haben sich Bernd und Hilla Becher stets für das interessiert, was eine spätere Zeit als ihre Vergangenheit begreifen würde. 2010, als das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas wurde, entstand die Idee für eine Ausstellung im Josef Albers Museum in Bottrop, die das Fotomuseum übernommen und damit das Ehepaar Becher nach manchen Jahren wieder in die Schweiz gebracht hat.

Spröde Poesie

Der bis in die Siebzigerjahre fast monokulturellen Landschaft des Ruhrgebiets wurden die Bilder aus anderen Industriegebieten dazugesellt; das lässt formale Ähnlichkeiten erkennen, aber auch grundlegende Unterschiede in den Lebensweisen. Und es liegt eine Stille, eine wenngleich spröde Poesie über den Bildern. 2007 ist Bernd Becher verstorben, Hilla Becher führt die Arbeit weiter: derzeit über die Steinindustrie.

Bernd und Hilla Becher: Bergwerke und Hütten – Industrielandschaften, Fotomuseum; bis 12. Februar. www.fotomuseum.ch