HOFFNUNGSTRÄGER: Ein Lehrjahr für Brägger

Im Herbst nahm Pablo Brägger eine Auszeit. Damit ging er das Risiko ein, dass er die Kunstturn-EM verpassen könnte. Heute startet der St. Galler dennoch als Medaillenanwärter.

Raya Badraun, Magglingen
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Pablo Brägger gehört am Reck zum engsten Favoritenkreis. (Bild: Ennio Leanza/KEY)

Pablo Brägger gehört am Reck zum engsten Favoritenkreis. (Bild: Ennio Leanza/KEY)

Raya Badraun, Magglingen

Im vergangenen Herbst entschied sich Pablo Brägger für eine Auszeit. Vier Wochen machte er Ferien und reiste nach Südafrika. Für einen Kunstturner ist das lang. Doch der St. Galler brauchte diese Zeit. Er wollte Abstand gewinnen, Körper und Kopf eine Pause gönnen. In den vergangenen vier Jahren hatte er keine Zeit dafür. Und je näher die Olympischen Spiele in Rio kamen, desto strenger wurde der Alltag, das Training. «Für einmal wollte ich keine Turnhalle mehr von innen sehen», sagt der 24-jährige Oberbürer und lacht. Er war in diesen vier Wochen viel unterwegs, hielt sich in Bewegung. Geturnt hat er jedoch nicht. Wie sein Körper, der davor stets Höchstleistungen vollbringen musste, darauf reagieren würde, wusste er nicht. Dennoch ging Brägger das Risiko ein, dass er mit der EM im rumänischen Cluj-Napoca den ersten Grossanlass des neuen Olympiazyklus verpassen könnte. Er hätte es verkraften können.

Das Jahr nach den Olympischen Spielen ist ein Lehr- und Vorbereitungsjahr, in dem die Kunstturner Neues ausprobieren können und sich auch hin und wieder einen Fehler mehr erlauben dürfen. Am Anfang des neuen Zyklus wurde mit dem Code de Pointage zudem das Bewertungssystem angepasst. Ein paar Elemente wurden gestrichen, andere tiefer eingestuft. Dadurch musste auch Brägger seine Übungen anpassen, Elemente herausnehmen und durch neue ersetzen. «Ich versuchte, die Ausgangsnote beizubehalten», sagt der Teamleader der Schweizer Männer. «Deshalb sind meine Übungen zum Teil noch etwas instabil. Doch ich bin auf einem guten Weg.» Er möchte sich nun genug Zeit nehmen, nicht zu viel Druck machen. «Es kommen schliesslich noch drei weitere Jahre, die genug anstrengend werden», sagt er. Das Fernziel sind die Spiele 2020 in Tokio.

Die Teilnahme an der EM liess er deshalb zu Beginn der Vorbereitung offen. Diese verlief am Ende jedoch viel besser, als Brägger erwartet hatte. Er war weder krank noch verletzt. Der Körper hat mit dem strengen Programm mitgehalten. Und die Schmerzen, die er seit einer Ellbogenverletzung verspürt, sind nicht schlimmer geworden – im Gegenteil. «Die Pause hat mir gutgetan», sagt er.

Gute Chancen am Königsgerät

Bald sah Brägger, dass es doch für die EM reichen wird. Erst rechnete er mit zwei Geräten. Nun tritt er in Cluj-Napoca gar in drei Disziplinen an: Boden, Barren und Reck. Und obwohl es ein Lehrjahr ist, steckt er sich hohe Ziele. Heute tritt er zur Qualifikation an. Drei Finals will er dabei erreichen. Mindestens am Reck hofft er zudem auf eine Medaille. «Das will ich noch schaffen», sagt er. Bereits in den vergangenen Jahren trat der Ostschweizer an diesem Gerät mit einer starken Übung an. Doch es reichte bisher nie für das Podest. 2015 in Montpellier stürzte er im Final, im vergangenen Jahr wurde er an der Heim-EM in Bern nach einem Fehler nur Vierter. Nun gehört er erneut zum engsten Favoritenkreis. Langfristig will er sich jedoch nicht nur auf die Königsdisziplin konzentrieren. Er will wieder Mehrkämpfer sein. Im Training übt er bereits wieder an allen Geräten. Und im Herbst will Brägger seine neuen Übungen auch im Wettkampf zeigen.