Vorzüglich ins neue Jahr

Nach der starken Vorrunde über den Erwartungen geht der FC St. Gallen geruhsam und fröhlich ins neue Jahr 2015. Aber er muss auf der Hut bleiben. Auch in der Ruhe lauern Gefahren. Von Christian Brägger

Christian Brägger
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Der FC St. Gallen ist kein Spitzenclub der Schweiz. Als solcher darf mit Blick auf die Tabelle sowie die nationale und internationale Vergangenheit lediglich der FC Basel bezeichnet werden. Aber St. Gallen ist ein guter Club, um nicht von einem sehr guten Schweizer Club zu sprechen. Ein Verein mit Tradition, für den nicht wenige Anhänger ihr letztes Hemd hergeben würden. Ein Verein, der mit Präsident Dölf Früh und Sportchef Heinz Peischl vorzüglich geführt ist, schuldenfrei daherkommt und keine Skandale liefert. Das ist nicht selbstverständlich in einer Zeit, in der alles sofort und am liebsten mit dem grösstmöglichen Ertrag klappen muss. In der Super League gibt es etwa mit Sion oder den Grasshoppers treffliche Beispiele, die diese nicht glänzende Kehrseite der Medaille zeigen. Seit der Gründung 1879 passt der FC St. Gallen ideal in die Region und bedient wie selbstverständlich die kritischen Ostschweizer noch immer mit mannigfaltigen Emotionen – auch 2014.

Früher waren Gladiatorenkämpfe in den Arenen für Volkes Belustigung zuständig, heute sind die Kämpfer den Fussballern in den Stadien gewichen. In der AFG Arena konnten die Zuschauer dem Treiben auf dem Platz besonders in diesem Herbst nur Gutes abgewinnen. Der Daumen ging hoch, denn in neun Pflichtspielen blieb man ohne Niederlage, zweimal besiegte man den Ligakrösus aus Basel. Weil St. Gallen auf dem vierten Tabellenplatz überwintert und so sehnlich die Europa League nochmals erleben will, ist die schlechte Rückrunde des Frühlings schon vergessen.

Genau so funktioniert das Fussballgeschäft. Was gestern war, interessiert heute nicht mehr. Exakt das darf aber in St. Gallen nicht geschehen. Stets sollte sich der Club bewusst bleiben, wie er – die Viertelfinalqualifikation im Schweizer Cup eingeschlossen – in die komfortable Lage geriet: Mit Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit. St. Gallen hat keine Mannschaft aus Fussballkünstlern, nein. Vielleicht vermag die Equipe deshalb zu begeistern. Weil alle für den Erfolg an ihre Grenzen gehen; tun sie dies nicht, folgt unweigerlich die Quittung. Trainer Jeff Saibene ist daher gefordert, seine hervorragende Arbeit 2015 unbeirrt fortzuführen und das Feld nachhaltig zu bewirtschaften, damit die nächste Ernte im Sommer eingefahren werden kann. Sei es mit der Europa League, sei es mit einem guten fünften Schlussrang. Das Gerüst der Mannschaft steht, und mit Yannis Tafer hat St. Gallen endlich einen spektakulären Offensivspieler in den eigenen Reihen, der regelmässig für ein Tor gut ist.

Nur krankt der Club leider nach wie vor an seiner Basis, der Jugend. Die erste Mannschaft setzt sich zusammen aus Spielern der Challenge League und der Super League, die bei den Grossclubs aus Bern, Basel oder Zürich nicht unterkommen. Keiner aus St. Gallens Nachwuchs schaffte 2014 den Durchbruch. Hier muss so rasch als möglich Gegensteuer gegeben werden. Wie heisst es so schön? Die Jungen sind die Leistungsträger von morgen. Das gilt erst recht auch für den FC St. Gallen, der sich den Erfolg nicht einfach einkaufen kann.

christian.braegger@tagblatt.ch