FUSSBALL. Nach der 0:4-Niederlage des FC St.Gallen in Thun lassen die Fans der Ostschweizer ihrem Ärger freien Lauf. Im Schussfeld der Kritik: Trainer Jeff Saibene, aber auch einzelne Spieler.
"Mit solchen Leistungen wie in der Rückrunde sind wir Abstiegskandidat Nummer 1!" Dies ist einer von über 130 Kommentaren, die nach dem Spiel des FC St.Gallen in Thun auf der offiziellen Facebook-Seite des Vereins eingegangen sind. Der Tenor, der dort, aber auch auf Tagblatt Online und im Fanforum des FC St.Gallen vorherrscht, ist vernichtend: Die Anhänger der Ostschweizer sind sauer – und befürchten Schlimmes, wenn es den Verantwortlichen nicht bald gelingt, das Ruder herumzureissen.
"Lachnummer der Liga"
"Peinlich", "schlimm", "sackschwach", "erbärmlicher Auftritt", "totale Arbeitsverweigerung" oder "Schande! Schämt euch!": So charakterisieren die Fans die Darbietung der St.Galler im Berner Oberland. Ein Anhänger ruft den Spielern in Erinnerung: "Ihr bekommt viel Lohn für solche Leistungen. Wir stehen jeden Morgen auf, gehen zur Arbeit und verdienen nur einen Bruchteil davon!" Um Geld geht es auch im Beitrag eines weiteren Kommentators: Ihn stört, dass trotz solcher Leistungen die besten Gegentribünen-Plätze in der AFG Arena nächste Saison teurer werden. Im Fanforum stellt ein anderer FCSG-Anhänger ernüchtert fest: "Bankrott-Erklärung eines Teams und mittlerweile die Lachnummer der Liga!" Sarkastisch der Beitrag eines Users, der die Frage aufwirft, was das Schlimmste am Spiel gegen Thun war - und die Antwort gleich selbst gibt: "Keita war einer der besten…"
"Trainerwechsel fällig"
Sein Fett in den zahlreichen Wortmeldungen bekommt unter anderem St.Gallen-Trainer Jeff Saibene weg. Nach Ansicht diverser User erreicht er die Mannschaft nicht mehr. Ein Kommentator verweist beispielsweise auf Thun-Trainer Urs Fischer, der öffentlich bekannte, seine Mannschaft wolle nächste Saison europäisch spielen - Jeff Saibene hingegen habe festgehalten, europäisch zu spielen sei nicht unbedingt das Ziel des FCSG. Auf Tagblatt Online erinnert ein Kommentator den Luxemburger zudem daran, er sei für den Biss, den Willen und die Qualität des Teams verantwortlich – just jene Elemente also, die Saibene seiner Mannschaft nach der Pleite in Thun absprach. Sowohl auf Facebook und Tagblatt Online als auch im Fanforum des FCSG gibt es denn auch Stimmen, die bereits den Kopf jenes Mannes fordern, der vor kurzem noch als Glücksfall für den Verein gefeiert wurde: "Er hat uns viel gebracht, aber jetzt ist ein Trainerwechsel fällig", so stellvertretend eine Stimme.
"Gescheit investieren"
Während sich die einen Anhänger auf Jeff Saibene eingeschossen haben, warnen andere vor einem Schnellschuss – und sehen die Ursache für die Krise des FC St.Gallen in einer verfehlten Transferpolitik. "An Saibene liegt es nicht. Ich würde halt einmal gescheit investieren", schlägt ein Fan vor. Ein anderer pflichtet ihm bei: "Man wusste von der Schwäche in der Offensive und hat nicht reagiert in der Winterpause. Mich erinnert es an die Saison vor dem letzten Abstieg." Vermisst wird zudem eine Weiterentwicklung der Spieler: "Bei allen war der Höhepunkt letzten Herbst anscheinend erreicht. Hier stimmt doch was im ganzen System nicht!", meint ein User im FCSG-Forum.
Im Fokus der Kritik steht unter anderem Marco Mathys, der seit Wochen nicht mehr auf Touren kommt. "Schlicht und einfach unwürdig. Er hat offensichtlich bereits jetzt das Gefühl, dass er auf dem Olymp angekommen ist", schreibt ein Fan. Während einige Anhänger nach den Gegentreffern in Thun auch auf Goalie Daniel Lopar herumhacken, halten ihm andere die Stange: "Wer Dani noch einmal Flopar nennt, dem sag ich: Nur Bürki und Sommer haben weniger Tore erhalten – also liegt es nicht am Torhüter."
"Können sonst gleich absteigen"
Den Trainer, den Sportchef oder einzelne Spieler in die Wüste schicken? Einen Star verpflichten oder weiterhin auf Spieler setzen, die bei anderen Clubs keine Zukunft mehr haben? Meinungen, wie der FC St.Gallen die aktuelle Krise bewältigen kann, gibt es vermutlich so viele wie grünweisse Anhänger. Einig dürften sich die Fans nur darin sein, dass jetzt etwas gehen muss – "sonst können sie in der nächsten Saison gleich absteigen", wie ein Kommentator auf der Facebook-Page des FC St.Gallen schreibt. Und auch folgende Meinung eines Forum-Users dürfte auf viel Zuspruch in der FCSG-Fangemeinde stossen: "Es braucht einen Knall, damit diese emotionslosen Männer wieder Fussball spielen, sonst sehe ich für nächste Saison schwarz."
"Thun – St.Gallen 4:0. Das nenne ich Arbeitsverweigerung von oberbequemen Tschüttelern." Das hat nach der Pleite vom Sonntagnachmittag nicht irgendein verärgerter Anhänger in seinem Facebook-Profil geschrieben, sondern Richard Fischbacher, langjähriger Stadionsprecher des FC St.Gallen. So könne es nicht weitergehen, jetzt brauche es ein präsidiales Machtwort, hielt Fischbacher weiter fest. Und erlaubte sich gar einen Seitenhieb gegen Chefcoach Jeff Saibene: "Thun hat mit Urs Fischer einen kompetenten Trainer, der weiss, wovon er spricht. Und wir?", schrieb Fischbacher.
Auf Anfrage von Tagblatt Online erklärte Richard Fischbacher am Montagmittag, das enttäuschende Resultat habe ihn zu seinem Kommentar veranlasst. Verlieren könne man immer, die Frage sei nur wie. Jeff Saibenes Aussagen im Tagblatt-Interview vom Montag hätten ihn in seiner Meinung nur bestärkt, dass es sich gewisse Herren zu bequem gemacht hätten. Auf die Frage, ob er es nicht heikel finde, als Speaker des FC St.Gallen solche Kritik öffentlich zu äussern, antwortet Fischbacher: "Nein, das denke ich nicht." Er verweist auf die freie Meinungsäusserung – das, was er geschrieben habe, sei vielleicht etwas hart, aber im Berufsleben müsse man nun einmal Leistung bringen. Er befürchtet aufgrund der aktuellen Leistungen einen Zuschauerschwund - "ich habe von vielen gehört, die sich aufgrund der aktuellen Leistungen überlegen, ob sie überhaupt noch an die Spiele kommen werden." Fischbacher glaubt im Übrigen nicht, dass Jeff Saibene – er ist mit ihm auf Facebook befreundet – verärgert ist über seine Bemerkung. "Auch ein Trainer muss mit Kritik leben können. Ich bin überzeugt, dass dies Jeff Saibene auch kann, der übrigens ein wunderbarer Mensch ist und seine Qualitäten als Trainer auch schon unter Beweis gestellt hat." (dwa)
Mehr zur schwierigen Lage des FC St.Gallen in der gedruckten Ausgabe und im E-Paper vom 29. April.