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FC St.Gallen
Leihspieler Leonel Mosevich stand zuletzt wieder in der Innenverteidigung St.Gallens. Der Argentinier würde auch in der Saison 2019/20 gerne für die Ostschweizer spielen. Er erzählt, wie er sein erstes Jahr in Europa gemeistert hat. Und was er am Tag seiner Ankunft lernen musste.
Leonel Mosevich kämpft. Im Spiel um jeden Ball. Und im Team des FC St. Gallen um einen Stammplatz. Im Herbst war der Argentinier lange gesetzt. Es folgte eine Flaute von November bis März. Und dann das: Im Spiel gegen die Young Boys am vergangenen Sonntag stand der 22-jährige endlich wieder in der Innenverteidigung, warf sich nach einer Minute ein erstes Mal in ein Kopfballduell mit Guillaume Hoarau – und erhielt einen Schlag auf den Kopf.
Eine alte Wunde platzte auf. Den Rest des Spiels – und auch die Partie gegen die Grasshoppers am Mittwoch – absolvierte der Argentinier mit Kopfverband. Er zeigte damit, wofür er in St. Gallen steht. «Wir wissen alle, dass er ein Krieger ist», sagt Alain Sutter. Als «Aggressivleader» hat ihn der Sportchef 2018 leihweise bis Sommer 2019 von den Argentinos Juniors geholt.
«Todo bien!», sagt der Innenverteidiger. Er wirkt neben dem Spielfeld nicht kämpferisch, eher gemütlich. «Alles gut»: Mosevich bezieht sich auf seine Kopfverletzung. Aber auch auf sein Jahr in St. Gallen. Er stahlt, wenn er von seinem Team spricht, von seinem Trainer, den Mitspielern. Von seinem Lieblingsplatz am Bodensee in Rorschach, wo er hin und wieder am Ufer einen Mate-Tee trinkt, das argentinische Nationalgetränk. Er strahlt, wenn er sagt:
«Ich will kommende Saison unbedingt
in St.Gallen bleiben.»
Vieles tönt prima: Sutter lobt den Argentinier als «einen, den jede Mannschaft braucht». Fans reden davon, dass er mit seiner kämpferischen Art zu einem Publikumsliebling werden könnte. Und Zeidler schwärmt von Mosevichs Professionalität.
Dennoch befindet sich Mosevich vorläufig auf der Warteliste. Es ist offen, ob er im Kader der kommenden Saison Platz findet. «Am Ende wird das Finanzielle entscheiden», sagt Sutter. Sprich: Die Offerte der Argentinos Juniors muss passen. Und natürlich, es gibt sie, die Schwächen des Verteidigers, der vor zwei Jahren eine Partie mit dem argentinischen U20-Nationalteam absolviert hat: die Geschwindigkeit, zuweilen das Stellungsspiel, der bisher bescheidene Einfluss auf die Offensive. Dinge, an denen er täglich arbeite, sagt der Spieler. Mängel, die anderen Verteidigern vorübergehend den Vortritt verschafften.
Eine wichtige Hürde hat Mosevich genommen. Im Sommer stellte sich die Frage, ob sich der junge Argentinier schnell würde einleben können. Der 22-Jährige spricht kaum deutsch und englisch, ist damit der einzige im Team, der sprachlich leicht isoliert ist. Geholfen haben ihm der Spanier Jordi Quintillà und der Westschweizer Vincent Sierro, der auch spanisch spricht. Geholfen hat aber auch seine Offenheit. Und seine argentinische Frau, die bei ihm im Westen der Stadt St. Gallen wohnt. In der Winterpause haben die beiden in Buenos Aires geheiratet.
Mosevich ist im Süden der argentinischen Hauptstadt mit zwei Schwestern aufgewachsen. «Die ganze Familie ist bescheiden, aber fussballverrückt», sagt er. Mit acht Jahren trat er in den lokalen Fussballclub ein, der Aufstieg folgte schnell. Dass Sutter den Innenverteidiger aufgespürt hat, ist eigentlich überraschend: Im Jahr vor dem Wechsel kam Mosevich für die Argentinos Juniors nicht zum Einsatz. Sutters vertraute Beobachter in Amerika und Südamerika brachten ihn auf die Idee, sich den Spieler im Scouting-Video anzuschauen. Mosevichs Berater ist jener Quintillàs. Eines ergab das andere.
Dennoch: Der Kulturschock in seinen ersten Tagen in Europa war für Mosevich da. Er erzählt von einer Episode, die er am ersten Tag in der Schweiz erlebte und nicht vergessen werde. «Ich warf ein Bonbonpapier aus dem Autofenster. Das Auto hinter mir hupte.» Mosevich fragte sich: War das tatsächlich wegen diesem Papierli? Er spürte in den folgenden Tagen schnell: «Ja, hier läuft vieles anders.» Die Nachbarn lehrten ihn: Der Rauch beim Bräteln dürfe nicht so stark sein. Und die Fussgänger haben Vortritt, wenn sie am Streifen stehen.
Bleibt eine Frage: Woher die Liebe zu den Tatoos? Mosevich lacht. Anstatt einer Antwort liefert er Erklärungen. Auf der linken Hand Jesus, der ihm Kraft gibt. Auf dem Arm Verse über den Zusammenhalt der Familie. Am Finger der Name der Frau, am Hals jener der Mutter. Und der Löwe auf dem Handrücken? Das muss «Léon» sein. Leo, wie Mosevich auch genannt wird. Leo, der Kämpfer.
Es ist eine Übergangssaison geworden für den FC St.Gallen. Wieder einmal. Nun mutet die frühere Aussage des Trainers Peter Zeidler, es könnte nach dem Neustart im Sommer punktemässig und tabellarisch auch einmal nicht so laufen in dieser Spielzeit, als selbsterfüllende Prophezeiung an; weil die Ostschweizer den Modus gewechselt und in den vergangenen vier Partien nach stellenweise schwachen Auftritten gerade einmal einen Punkt geholt haben. Und heute folgt ab 19 Uhr ausgerechnet jene Schicksalspartie in Neuenburg, die für den Rest der Saison darüber befindet, ob die St.Galler tatsächlich zittern müssen. Es droht der neunte Platz, die Barrage – und damit Abstiegskampf pur. Wer hätte gedacht, dass Zeidlers Team als Zweiter nach sechs Runden überhaupt noch in jene tiefe Tabellenregion fallen könnte, welche die Liga auf diese Saison hin künstlich spannend gemacht hat mit der Einführung der Relegationsspiele.
Noch ist es nicht so weit. Der FC St.Gallen hat es selbst in den Füssen und gegen die Neuenburger in dieser Saison bisher stets gewonnen. Aber der Favorit ist er nicht mehr, dafür sind die Xamaxiens unter ihrem noch bis zum Ende der Saison geduldeten Trainer Stéphane Henchoz zu sehr in Fahrt gekommen. Zeidler sieht die Lage seiner Mannschaft nicht dramatisch, eine Niederlage wäre aber nicht angebracht, sagt er: «Wir kennen die Tabelle. Aber wir fahren nach Neuenburg, um zu gewinnen.» Mit Siegen auf der Maladière und in Thun könnten die Ostschweizer in acht Tagen bereits wieder Vierte sein. Es ist indes augenscheinlich, dass sie sich in der Spielgestalterrolle schwertun mit defensiv eingestellten Teams. Zudem weiss Xamax einen nicht unerheblichen Vorteil auf seiner Seite: Es kennt die Luft nur zu gut, die es hinten in der Tabelle zu atmen gibt. Für die meisten St. Galler jedoch, gekommen aus vielen Teilen der Welt, ist sie neu.
Vor allem in der Defensive müssen die Ostschweizer stabiler werden, 49 Gegentore in 27 Partien sind zu viel. Weil zuletzt gegen die Grasshoppers die Null stand, dürfte Zeidler heute derselben Hintermannschaft vertrauen. Verzichten muss er auf den gelbgesperrten Jordi Quintillà, den Musah Nuhu ersetzen könnte, falls das System nicht umgestellt wird. Hinter dem Einsatz des angeschlagenen Andreas Wittwer steht ein grosses Fragezeichen. Und natürlich fehlen die rekonvaleszenten Cedric Itten und Alain Wiss weiterhin.
Eine Niederlage für St.Gallen gab es unlängst an der Transferfront: Miguel Castroman zieht es vor, im Sommer zum FC Thun und nicht zu den Ostschweizern zu wechseln. Offenbar sieht der Mittelfeldspieler des FC Schaffhausen die besseren Perspektiven bei den Berner Oberländern. Hinter Thun – das muss St. Gallen zu denken geben, daran muss es arbeiten. Schon in Neuenburg. (cbr)