Startseite
Sport
FC St.Gallen
Da stand sie also wieder, die Null beim FC St.Gallen. Beim torlosen Unentschieden gegen Lugano blieb der Vizemeister zum sechsten Mal in elf Spielen ohne Gegentor. Und er hat nur eines kassiert in den drei Begegnungen nach der Quarantäne. Der Nachhall auf all diese Partien folgte allerdings immer postwendend: Glück gehabt!
An dieser Stelle ist es angebracht, Hermann Gerland, Assistenztrainer bei Bayern München, zu zitieren: «Immer Glück ist auch Können», sagte er vor einiger Zeit, als noch regelmässig vom Bayern-Dusel die Rede war.
Der Satz kann auch auf den FC St.Gallen gemünzt werden. Um beim deutschen Abo-Meister, der aktuell besten Klubmannschaft der Welt, zu bleiben: Peter Zeidlers Team verteidigt sogar deutlich besser als die Bayern, die in sämtlichen sechs zurückliegenden Bundesliga-Partien 0:1 in Rückstand gerieten. Bei der fast gleichen Anzahl von Spielen haben die Münchner zudem doppelt so viele Gegentore erhalten wie die St.Galler.
Die Erklärung für die sehr solide Abwehrbilanz der Grün-Weissen gab «Blue»-Kommentator Dani Wyler am Mittwochabend, als Lugano eine vermeintlich hundertprozentige Chance vergab. Nachdem zwei Tessiner Stürmer allein vor Lawrence Ati Zigi am Ball vorbeigerauscht waren, sagte er:
«Da fehlten wieder ein paar Zentimeter!»
Zwei Begriffe sind hier von Bedeutung: «Wieder» und «ein paar Zentimeter». Solche Situationen kommen also häufig vor, und es fehlt nur wenig zum erfolgreichen Abschluss.
Der Unterschied zur vergangenen Saison liegt darin, dass sich St.Gallens Abwehrverbund 2019/20 ebenfalls häufig mit gefährlichen Torszenen konfrontiert sah. Doch es geschah viel öfter als aktuell, dass ein gegnerischer Stürmer mutterseelenallein vor St.Gallens Tor auftauchte und nur noch einzunetzen brauchte.
St.Gallens Verteidiger inklusive Torhüter haben sich verbessert, weil sie bei vielversprechenden Kontern des Gegners deutlich präsenter sind, gerade noch ein Bein oder einen Kopf dazwischen bringen und so ein sicher scheinendes Tor verhindern.
Glück gehabt? Manchmal sicher, aber eben immer weniger. Beispiele gab es auch im Spiel gegen Lausanne, in dem das Tor von Victor Ruiz schliesslich drei Punkte wert war. Ziemlich zu Beginn entschärfte Alessandro Kräuchi eine brandgefährliche Szene, weil er im letzten Augenblick noch den Winkel zum Tor schliessen konnte. Ein anderes Mal sprach männiglich von einer hundertprozentigen Möglichkeit, als Aldin Turkes aus kurzer Distanz zum Schuss kam. Bei genauer Betrachtung der Wiederholung war festzustellen, dass zwei St.Galler Verteidiger im Weg standen und einer davon prompt angeschossen wurde. Es war also nur halb so schlimm.
Erstaunlich ist, dass St.Gallen und Lugano die fast identische Tordifferenz aufweisen: 11:9 und 11:8. Dies, obwohl ihre Ansprüche total verschieden sind. Maurizio Jacobacci, übrigens einst Spieler beim FC St.Gallen, will primär, dass seine Mannschaft sehr kompakt im eigenen Strafraum steht. St.Gallen dagegen ist auf möglichst viele Torschüsse erpicht. Womit ersichtlich ist, bei wem die Rechnung aufgeht. Bei Lugano feiert der Catenaccio der 1960er-Jahre fröhlich Urständ.
Verächter dieser Taktik weisen genüsslich auf die Nähe Luganos zu Italien und zur Serie A hin. Damit tut man den Tessinern aber Unrecht. Die Mannschaft versteht es auch hervorragend, sich kompakt ins Mittelfeld zu verschieben oder den Gegner überfallartig zu überraschen.
So liegt es in der Natur der beiden unterschiedlichen Systeme, dass bei Lugano kaum der Eindruck von Abwehrschwäche entsteht. Dies im Gegensatz zu den meistens lockeren Reihen der St.Galler. Der Vergleich mit Bayern relativiert sich natürlich durch die wesentlich stärkeren Gegner, auf welche die Münchner treffen. In der Super League würden Neuer, Lewandowski & Co. wohl selten in Rückstand geraten...
Schade ist, dass Peter Zeidlers Team aus den wenigen Gegentoren, die es erhält, punktemässig nicht mehr Kapital schlagen kann. Vor einem Jahr noch flogen die Bälle im Multipack ins gegnerische Tor: Zwei bis vier Treffer pro Spiel waren die Regel. Mit dieser Qualität würden St.Gallens Fohlen in der aktuellen Tabelle weit vorausgaloppieren. Doch der Spielrausch ist vorbei. Wie sagte Sportchef Alain Sutter doch: «Vergesst die vergangene Saison!»
Es besteht allerdings kein Grund zu grossem Wehklagen für die Espen. Mit dem Remis vom Mittwoch ist St.Gallen auf den zweiten Platz vorgestossen, punktgleich mit Basel, aber mit einem Spiel weniger. Was die hochmodernen Computer offensichtlich nicht einberechnen können und St.Gallen überall auf Platz drei aufführen. Was insofern nicht so schlimm ist, weil just am Samstag die beiden Mannschaften im Joggeli aufeinandertreffen.
St.Gallen hat in Basel zuletzt in fünf Spielen viermal gewonnen und einmal unentschieden gespielt. Aber im selben Rahmen hat es daheim gegen dieses Team nicht mehr gewonnen und zuletzt die meisten Tore kassiert. 1:3 und 0:5 lauteten die Verdikte. St.Gallen muss als Lehre aus diesen Partien vor allem in der Anfangsphase sehr wachsam und gleichzeitig aktiv sein. Basel scheinen gegen Spielende hin die Kräfte jeweils zu verlassen.