Das war ja ein verrückter Mittwochabend. Was sich als bedeutungsloser, weil vorhersehbarer Test im Letzigrund angekündigt hatte, verwandelte sich plötzlich zu einer munteren Vorstellung der Espen. Möglicherweise hat der ziemlich unerwartete 2:1-Sieg beim FC Zürich sogar Trendcharakter.
Die Zeiten bessern sich. Dank Corona findet die Grippewelle voraussichtlich nicht statt. Der Impfstoff gegen das Virus steht bereit. Und Donald Trump ist vom Aufmacher zum Zweispalter geschrumpft.
Und wie steht es um den FC St.Gallen? Der kümmert uns natürlich mehr als alles andere. Denn im Fussball geht es, Trainerlegende Bill Shankly sei gedankt, um viel mehr als Leben oder Tod.
In den vergangenen Wochen spürte ich allerdings das Gegenteil. Das Interesse hatte nachgelassen. Die Spiele der Super League erschienen mir eher als notwendige Beschäftigungstherapie für trainierende Fussballprofis denn aussagekräftiges Geschehen der Saison 2020/21.
Spielverschiebungen in hoher Zahl und ganze Mannschaften in Quarantäne liessen den Wettspielbetrieb zur Farce werden – wie in kaum einem anderen Land. So betrachtete ich auch die Partie der St.Galler gegen Zürich im besten Fall als «Es Grüessli us dä Chuchi» im Hinblick auf das leckere Champions League Menü im weiteren Verlauf des Abends.
Entspannt, in Erwartung der sicheren Niederlage, liess ich mich kurz nach 18 Uhr vor dem Fernsehgerät nieder. Vielleicht würde diese Testpartie Peter Zeidler ein paar Aufschlüsse geben im Hinblick auf normale Zeiten, mehr nicht. Das überdimensionale strahlende Lachen des Trainers an der Stubenwand bestärkte mich in meiner Vermutung.
Nie hätte ich gedacht, dass ich ab der 90. Minute vor die Haustüre treten würde, weil ich es in Anbetracht der plötzlich möglichen drei Punkte nicht mehr auf meinem Stühlchen aushielt.
Wir Anhänger und manchmal auch Journalisten haben die Neigung, aus einem einzigen Spiel Grundsätzliches abzuleiten. Die Partie vom Mittwoch verleitet dazu besonders, weil eine stark handicapierte Mannschaft gegen die Mannschaft der Stunde siegte. In diesem Fall könnten die Erkenntnisse aber doch von hoher Qualität sein.
Bleibt die Frage, weshalb St.Gallen nach der Quarantäne so frisch auftreten konnte. Vielleicht weiss ein Hobbyläufer die passende Antwort: Er hatte sich einmal 14 Tage vor einem Marathon leicht verletzt und trainierte bis zum Anlass keinen Schritt mehr. Zu seiner Überraschung lief er persönliche Bestzeit. Als er einen Experten fragte, wie das möglich gewesen sei, antwortete er: «Gerade deswegen. Weil du ausgeruht an den Start gegangen bist.»
Da haben wir aber im vergangenen Frühjahr den FC Zürich erlebt, der im ersten Spiel nach der Quarantäne gegen ein damals auswärts schwächelndes YB nicht den Hauch einer Chance hatte. Auch das lässt sich erklären. Die Zürcher mussten damals nur Stunden, nachdem sie um Mitternacht aus der Quarantäne entlassen worden waren, zum Spiel antreten. Der FC St.Gallen jedoch konnte immerhin seit Sonntag wieder trainieren. Und der Marathonläufer bewegte sich im Alltag, treppauf, treppab und vom Arbeitsplatz zur Bushaltestelle. Die Isolation hingegen macht die Beine steif.
So taucht nun die Erinnerung an den 25. September des vergangenen Jahres auf. Es war die achte Meisterschaftspartie, und sie endete gegen den damaligen Tabellenzweiten FC Sion 2:1 für St.Gallen, das zweite Spiel nach dem Cupfiasko in Winterthur. Von da an ging es steil bergauf. Für Präsident Matthias Hüppi war es der Knackpunkt für eine erfolgreiche Saison – nicht lange im Nachhinein, sondern schon beim Abpfiff jener Begegnung. Und jetzt? Vielleicht hat ihn im Letzigrund wieder jenes Gefühl beschlichen . . .
Vorsicht ist angemahnt, weil die Unsicherheit, nicht zuletzt wegen Corona, immer noch gross ist. Immer noch drohen Absagen, immer noch scheinen hohe Zuschauerzahlen in weiter Ferne. Die nächste Aufgabe am Sonntag in Lausanne wird beim FC St.Gallen weiter Licht ins Dunkel bringen. Rückfall oder Beständigkeit? Wie gesagt, die Zeiten bessern sich - sofern wir uns von der aktuellen Irritation nicht anstecken lassen.