Fussball ist ein einfaches Spiel, aber häufig schwer zu verstehen. Zum Beispiel auch aufgrund einer Aussage von Marco Hämmerli.
Zum Besuch eines Fussballspiels gehört eine gewisse Vorbereitung. Zuschauer, die ohne Vorkenntnisse zum Match erscheinen mit der schlichten Einstellung «Jetzt siegt mal schön», verpassen einiges. Vorschauen lesen hingegen bildet, wenn man so will. Man erhält Informationen zum Spiel, über Absenzen und manchmal, das Interessanteste, geben Fussballer zu erkennen, wie sie denn ihre reichlich bemessene Freizeit gestalten. Da hat man von einem Fussballer aus Afrika auch schon mal erfahren, dass er gerne ein Fondue oder Raclette zubereitet. Vieles ist auch 08/15. Trainer und Spieler geben Durchhalteparolen von sich nach dem Motto «heute wollen wir es wissen». Muss wohl auch sein.
Flucht nach vorne
In der Samstagausgabe des «Tagblatt» gab Verteidiger Marco Hämmerli einen aufschlussreichen Einblick in die Trainingsarbeit. «Jeff Saibene verlangt, dass wir uns vermehrt in den Angriff einschalten», sagte er. Verblüffend war gar die nächste Aussage: «Unter Uli Forte war es sehr wichtig, dass wir zu Null spielen. Deshalb haben wir oft die Defensive trainiert.» Wenn das tatsächlich der Fall war, bleibt die Feststellung: Diese Absicht ist gründlich fehlgeschlagen, wenn man die Anzahl der Gegentreffer der St. Galler betrachtet und vor allem, wie früh die meisten gefallen sind.
Forte selbst sagte einmal: «Das Schwierigste im Fussball ist das Tore schiessen.» Also nicht das Verteidigen. Doch vergangenen Sommer, man müsste es nicht immer wieder erholen, wenn es nicht so entscheidend gewesen wäre, hat der FC St. Gallen mit Costanzo und Merenda seine Torproduktion weitgehend verkauft.
Also die Mannschaft soll es unter Saibene vermehrt in der Offensive versuchen. Eine Flucht nach vorne? Stärkt man die Abwehr, indem man sie auf diese Weise entlastet? Es kommt immer auch auf die Balance an und auf die Effizienz des Angriffs. Wenn die Stürmer keine Tore erzielen, wird es schwierig mit einer entblössten Abwehr. Und dann ist weiter noch entscheidend, wie die ganze Mannschaft bei gegnerischem Ballbesitz verteidigt.
Was für einen Wendepunkt spricht
Der Sieg gegen Bellinzona gibt der Mannschaft die Zuversicht zurück. Das Wissen darum, dass sie noch punkten kann. Ob der Sieg ein Wendepunkt war, wird erst die Zukunft zeigen. Was für eine solche Entwicklung spricht:
- Die Mannschaft ist durch die Transfers individuell stärker besetzt als im Herbst.
- Sie hat mit Frei, Regazzoni und Scarione in der Offensive ein spielerisch starkes Dreieck.
- Sie hat ein Teil der verkauften Torproduktion ersetzt: Der beste Torschütze mit sieben Toren heisst Sciarione. Nur hat er bisher alle für Thun erzielt. Ob Lavric, der seit dem frühen Kopftor im ersten Spiel gegen GC nicht mehr getroffen hat, ein Torjäger werden kann, ist offen. Stürmer brauchen häufig etwas mehr Geduld, siehe Torres bei Chelsea oder Dzeko bei Manchester City.
- Die Abwehr ist in der Besetzung Dunst, Lang, Schenkel, Hämmerli und mit Muntwiler und Imhof als defensivem Schutzschild im Mittelfeld stabiler geworden. Und Torhüter Vailati empfiehlt sich seit einiger Zeit als sicherer Rückhalt.
- Die Mannschaft hat, bis mit den Neuerwerbungen eine einigermassen ideale Grundformation gefunden worden ist, noch Entwicklungspotenzial.
- St.Gallen hat mit dem breiteren Kader mehr Alternativen auf diversen Positionen.
Was noch Fragezeichen hinterlässt
- Bellinzona ist St. Gallens bevorzugter Gegner wie schon vergangene Saison. In dieser Spielzeit resultierten drei der bisher sechs Siege in den Spielen gegen die Tessiner, je einer gegen Xamax, Thun und Sion. Kann St.Gallen auch mal gegen ein Spitzenteam Punkte holen?
- Die deutlich mehr Chancen als in den vergangenen Partien wurden am Samstag gegen die schwächste Abwehr der Liga (noch drei Gegentore mehr als St. Gallen) herausgespielt.
Nushi, ein idealer Joker?
Im Detail verlief der Match gegen Bellinzona äusserst interessant. Auffallend war die Nominierung von Scarione auf der rechten Seite, beziehungsweise, wie sich der Ex-Thuner aus jener Position immer wieder davon schlich. Anweisung des Trainers oder ein naturgegebener Drang des Argentiniers zur Mitte? Jedenfalls schien St.Gallens Offensivdrang auf diese Weise variabler, und Dunst hatte mehr Raum für Vorstösse. Zweitens die Einwechslung von Abegglen. Das Eigengewächs erhöhte als wendiger Stürmer die Gefahr in Bellinzonas Strafraum. Ein fälliger Elfmeter wäre ihm zu verdanken gewesen. Drittens die Einwechslung von Nushi, dem Torschützen: Hat er nun wieder einen Platz in der Startformation verdient? Oder entwickelt er sich zum idealen Joker, weil er sich mit seiner urwüchsigen Dynamik gegen eine ermüdete Abwehrreihe noch besser durchsetzen kann?
Manchmal gedeihen aus der Not gar nicht so schlechte Ideen.
Fredi Kurth