Der FC Thun verteidigt seinen Platz in der höchsten Schweizer Fussballliga seit dem Aufstieg 2010. Die Erfolgsserie hat auch viel mit dem klug agierenden Sportchef Andres Gerber zu tun. Am Sonntag spielt Thun um 16 Uhr in St. Gallen.
Als der FC Thun vor einem Jahr mit drei Niederlagen in Serie startete, häuften sich Stimmen, die sagten: In diesem Jahr erwischt es die Berner Oberländer, auf Dauer können sie sich nicht in der Liga halten. Und wo landeten sie am Ende? Auf Platz sieben.
So war das oft schon in der Vergangenheit. In den Prognosen kam Thun selten gut weg, galt die Mannschaft oft als einer der grössten Abstiegskandidaten. Wenig Geld, der Zwang, die besten Spieler immer wieder abzugeben – wie soll das auf Dauer gut gehen?
Es ist Sommer 2018, zwei Runden sind vorbei, und Andres Gerber wirkt entspannt. Er meldet: «Ich habe ein sehr gutes Gefühl.» Das 2:1 gegen Luzern hat die ersten drei Punkte eingetragen. Das beruhigt schon einmal. Gerber ist 45-jährig, seit 2009 ist er der Sportchef des FC Thun, eines der prägenden Gesichter des Vereins, und er steht im Ruf, sein Fach vorzüglich zu verstehen.
Dafür spricht allein schon, dass der Club mittlerweile bereits die neunte Saison in Folge in der Super League bestreitet. Und wenn die Thuner für ihre unaufgeregte Arbeit gelobt werden, wenn von klugen Transfers die Rede ist, hat das viel mit der Person von Gerber zu tun.
Spieler aus einer tieferen Liga holen, ihnen die Plattform bieten und sie schliesslich gewinnbringend transferieren – das Prinzip hat sich zu einem Erfolgsmodell entwickelt, das für Gerbers Arbeitgeber von existenzieller Bedeutung ist. Der Sportchef verpflichtete manchen Spieler schon aus der Challenge League oder 1. Liga und generierte später Ablösesummen im siebenstelligen Bereich. Die jüngsten zwei Beispiele sind Simone Rapp, der im Winter zu Lausanne zog, und Sandro Lauper, der von den Young Boys übernommen wurde.
Gerber hat sich daran gewöhnt, dass er sehr exakt arbeiten muss. Es ist nicht so, dass ein Fehlgriff auf dem Transfermarkt gleich alles durcheinanderbringen würde, aber zu oft darf ihm das nicht passieren. Die negativen Auswirkungen sind schneller erkennbar als bei einem finanzstarken Verein.
Dank der Verkäufe von Rapp und Lauper sah sich Gerber vor dieser Saison nicht gezwungen, die Besten wegzugeben. Dafür hat er das Kader punktuell mit Spielern aus der Challenge League verstärkt wie etwa Basil Stillhart vom FC Wil, der Eindruck hinterlässt. «Er passt charakterlich und fussballerisch perfekt zu uns», sagt Gerber.
Die Thuner Mannschaft behielt zum grössten Teil das gleiche Gesicht wie in der vergangenen Spielzeit, was den Vorteil hat, dass die Ideen des Trainers für die Spieler nicht neu sind. Marc Schneider ist offiziell seit etwas mehr als einem Jahr der Chefcoach, aber Einfluss nahm er vorher schon als Assistent.
«Die ideale Besetzung» nennt ihn Gerber und erklärt: «Er ist taktisch auf der Höhe, glaubwürdig, vernünftig, einfach ein guter Trainer.» Und: «Er stammt von hier, und er ist schon so lange im Club, dass er weiss, wie es hier funktioniert. Mit ihm gibt es keine Diskussionen, wenn ein Spieler aus finanziellen Gründen nicht verpflichtet werden kann. Das spart einiges an Energie.»
Vernünftig sein, das ist eine Eigenschaft, die Gerber sowieso gefällt. Ihm ist wichtig, dass die Bodenhaftung nie verlorengeht, und er lebt das selber vor. Nun ist es so, dass sich viele den Sportchef Gerber auch anderswo vorstellen könnten. Den Rucksack hat er gefüllt, die Anforderungen erfüllt er. Bloss: Will er auch? Bislang blieb es stets bei Gerüchten. Und Gerber wollte, auch aus Rücksicht auf seine Familie, nicht fortziehen. Er sagt: «Für mich stimmt das Gesamtpaket.»
Das Oberland mag beschaulich und idyllisch sein, in der wunderbaren Region scheint das Tempo gemächlicher zu sein als in den Grossstädten. Aber Gerber hat trotz allem auch Erwartungen zu erfüllen. Der FC Thun dominiert zwar selten die Schlagzeilen, er steht nicht im Mittelpunkt wie die Young Boys oder Basel.
Und doch ist Druck da, «ein Existenzdruck», sagt Gerber. Von ihm wird nicht verlangt, dass die Mannschaft Titelgewinn an Titelgewinn reiht, aber wenn sie Jahr für Jahr in der Super League bleibt, sichert sie Arbeitsplätze.
Und es interessieren sich auch Sponsoren für den Verein. In der neuen Meisterschaft treten die Thuner in den ersten vier Runden dreimal auswärts an. Am Sonntag treffen sie ab 16 Uhr auf St. Galler, gegen die sie in der vergangenen Saison zwar dreimal verloren, die sie im April in der Ostschweiz im letzten Vergleich der beiden Teams aber 1:0 besiegten. Der Torschütze damals: Roy Gelmi, der einstige Verteidiger des FC St. Gallen.
Die Zuversicht in Thun ist da, um die nächsten Punkte zu holen. Für Andres Gerber ist das wahre Leistungsvermögen der St. Galler zwar schwer abschätzbar, aber die ersten zwei Auftritte seiner Mannschaft gegen den FC Zürich und den FC Luzern stimmen Andres Gerber positiv:
«Wir sind auch in St. Gallen konkurrenzfähig.»
Gegen Thun bestreitet der FC St. Gallen nach den Auftritten in der Europa-League-Qualifikation das fünfte Spiel innert 16 Tagen. Nach zwei Startsiegen verloren die Ostschweizer zuletzt zweimal, im Heimspiel gegen Sion unterlag die Mannschaft mit 2:4, in Sarpsborg beendete sie das europäische Abenteuer mit einem 0:1. St. Gallens Trainer Peter Zeidler weist gegen Thun eine makellose Bilanz vor, mit Sion hat der Schwabe die Berner Oberländer dreimal besiegt. Auf ein Unentschieden müssen sich die Zuschauer eher nicht einstellen: Das letzte von St. Gallen, ein 1:1 gegen den FC Zürich, ist elf Monate her. Weiterhin verletzt sind beim FC St. Gallen Miro Muheim und Philippe Koch. Fraglich ist, ob Leonel Mosevich wieder fit werden wird. Der 21-jährige Argentinier kehrte angeschlagen aus Sarpsborg zurück. Erneut dem Aufgebot nicht angehören wird Tranquillo Barnetta wegen Trainingsrückstands. Auf Thuner Seite ist heute der Einsatz des angeschlagenen Roy Gelmi fraglich, der frühere St. Galler Moreno Costanzo fehlt verletzt. (red)