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FC St.Gallen
Am nächsten Sonntag kommt es im Stade de Suisse zu einem jugendlichen Spitzenkampf. St.Gallens junges Ensemble fordert den Meister Young Boys heraus, der sich zumindest dem Namen nach jugendlich gibt. St.Gallens Anhänger können die Partie auch als Entschädigung für früh entgangenen Cup-Ruhm betrachten.
Das grosse Ziel Cupfinal hat der FC St.Gallen zwar einmal mehr verpasst. Aber die Reise nach Bern fühlt sich am nächsten Sonntag an wie eine Fahrt zum Endspiel vor einer enormen Zuschauerkulisse. Die Mannschaft, die auch gegen Sion unaufhaltsam ihre Kreise zog, tritt zwar weiterhin als Aussenseiter im Stade de Suisse an. Aber die Art und Weise, wie das «Fliegende Klassenzimmer» (so benannt im «Kicker») auftritt, lässt auf ein finalwürdiges Spiel vor grosser Kulisse hoffen.
Der besondere Charakter ist auch dadurch gegeben, dass nach meiner Vermutung diese beiden Teams noch nie in einem Spitzenkampf aufeinander getroffen sind, zumindest nicht in diesem Jahrhundert. Das ist auch auf die Young Boys zurückzuführen, die über Jahre hinweg ihren Ansprüchen nicht zu genügen vermochten. 2012/13, als St.Gallen Dritter wurde, belegten sie nur Rang sieben. Und in St.Gallens Meistersaison 2000 spielte YB sogar in der Nationalliga B.
Nicht nur der Block, sondern auch die Normalos unter den Anhängern dürften nächsten Sonntag zahlreich in die Bundeshauptstadt reisen. Nur: Wie kommt man zu Tickets? Das Fassungsvermögen des Stade de Suisse beträgt 31'120 Zuschauer. Schon das Derby gegen Thun war ausverkauft. Auf der Homepage des FC St.Gallen ist zu lesen: «Tickets für unsere Auswärtsspiele werden jeweils am Donnerstag vor dem entsprechenden Spiel im Fanlokal des Dachverbands 1879 verkauft. Bei Fragen wende dich bitte an info@dv1879.ch.» Das tönt allerdings schwer nach Tickets im Gästeblock und nach Fanreise mit dem Extrazug. Da müsste noch angefügt werden: «Fragen Sie auch nach Risiken (Notbremse-Halt, Schlägereien) und Nebenwirkungen (Polizeieskorte, Spielbeobachtung im Pyrorauch).» Am besten ist es wahrscheinlich, sich möglichst rasch über die YB-Homepage Eintrittskarten zu sichern. Diesen Montagmorgen gab es noch einige, auch auf der Längsseite.
Anhänger des FC St.Gallen mit historischem Flair wissen, weshalb der Vergleich mit dem Cupfinal nicht so abwegig ist: Die Grün-Weissen hatten das Pech, bei ihren vier Endspiel-Teilnahmen zweimal gegen die Young Boys antreten zu müssen. Sie bestritten also Auswärtsspiele und verloren sowohl 1945 als auch 1977. Diesmal kommt auch noch die unsägliche Serie von 14 Jahren Sieglosigkeit in der Super League bei den Bernern hinzu, während die St.Galler in den Auswärtsspielen gegen den viele Jahre erfolgreicheren FC Basel immer wieder einen oder drei Punkte ergatterten.
Einige Zeit hatte das auch mit dem Kunstrasen zu tun, der den Young Boys nachweisbar Vorteile verschaffte. Heutzutage ist das kein Argument mehr. Also «Auf nach Bern!». Peter Zeidler hat selber das Signal gegeben. Und den Kornhauskeller, wo man sich vor dem Spiel bei Berner Platte oder Hörnli mit Ghacktem getroffen hat, gibt es noch immer. Sonntagmittag offen von 11.45 bis 14.30 Uhr.
Die St.Galler füllen nun nicht mehr nur das Vakuum zwischen den beiden Topteams und dem Rest der Liga, sondern beleben zumindest vorübergehend den Kampf an der Spitze. Sion nütze es wenig, nach dem Cupspiel in Linth in der Ostschweiz zu bleiben und in Rapperswil zu trainieren, sondern musste froh sein, nicht schon früher unter die Räder zu geraten. Wieder hat St.Gallen drei Tore erzielt. 20:6 lautet die Tordifferenz in den acht Partien mit sieben Siegen und nur einem Remis. Acht Spiele ohne Niederlage gab es zuletzt im Herbst 2013, in der Saison mit dem «Wunder von Moskau».
Die Resultate lauteten: 1:0, 1:1, 2:0, 0:0, 4:1, 0:0, 1:0, 1:0. Total fünf Siege, drei Remis, 10:2 Tore. St.Gallen stürmt, was das Zeug hält. Der Unterschied zur ersten Saisonhälfte vor einem Jahr: St.Gallen verteidigt nun nach hinten, wenn der Gegner kontern will, wesentlich aufmerksamer, präsenter. Es kommt selten vor, dass einer allein auf das St.Galler Gehäuse lossteuert.
Auch die Zuschauer kehren zurück. Nicht einmal 10'000 Eintrittskarten waren bis Donnerstag abgesetzt worden, 13 750 waren schliesslich erschienen. Viele «Zahlende», man könnte sie auch reumütige Rückkehrer nennen, waren noch dazugekommen. 13 178 besuchten St.Gallen gegen Sion am 12. Mai, als es um viel mehr ging, nämlich um das Abwenden des Barrageplatzes.
Doch genug mit Zahlen jongliert. Fussball ist primär Emotion, und Sie haben als treuer Anhänger höchstpersönlich gespürt, dass der Wind of Change neuerdings durch den Kybunpark weht. Vielleicht auf diese Weise:
Jugend ist Trumpf beim FC St.Gallen. Das dachten sich auch einige FC-Freunde, die sich vergangenen Donnerstag mit dem Lift vom VIP-Eingang in den obersten Stock tragen liessen, um am monatlichen Treffen der Ehemaligen teilzunehmen. Unterwegs wurden sie gestoppt, und vor der Lifttüre baten vier Jünglinge etwas scheu, aber mit gewinnendem Lächeln: «Nehmen Sie uns mit?». Die meisten von uns Älteren dachten: «Aha, ein paar Absolventen der FC-Akademie». Jemand fragte dann noch: «In welcher Mannschaft spielt ihr?». Sie antworteten artig: «In der ersten». Keine Spur von Enttäuschung bei den vier Youngsters, dass wir sie nicht erkannt hatten. Es mochte auch der relativen Dunkelheit im Lift und der hohen Altersdiskrepanz geschuldet gewesen sein. Zwei konnten wir dann doch noch verifizieren, bevor sie wieder ausstiegen: Leonidas Stergiou und Victor Ruiz, am Samstag 26-jährig geworden. «Er sieht nur so jung aus», fügte einer der ganz Jungen verschmitzt hinzu.
Im obersten Stock erzählte Matthias Hüppi den – wen erstaunt‘s - sehr geneigten Anwesenden, wie er die Entwicklung der ersten Mannschaft innerhalb eines Jahres erlebt hat. Selbstverständlich habe er einen derart fulminanten Aufschwung nicht erwartet. «Niemand hat das erwarten können.» Aber nach dem Sieg in Sion habe ihn das sichere Gefühl erfasst, dass die Mannschaft dieses Niveau nun über längere Zeit werde halten können. Das werde auch am Samstag im Rückspiel so sein. Energiegeladen und mit einer ansteckenden Mischung aus Optimismus und Realitätssinn, plauderte der Präsident ein wenig aus der Schule. Klar wurde, dass er nicht nur den grossen Laden dirigiert, sondern sich auch ins Tagesgeschäft einklinkt. So hatte Hüppi aufreibende Verhandlungen mit dem Spielerberater von Dereck Kutesa über dessen Abgang zu Stade Reims geführt. Das Hin und Her endete mit dem Erfolg, dass der FC St.Gallen nicht nach einem Prämiensystem – Anzahl Einsätze für Reims – entschädigt wird, sondern mit einer angemessenen Transfersumme von Anfang an. «Aber der Berater braucht sich nie mehr bei uns zu melden», beschied ihm Hüppi. (th)