Nassim Ben Khalifa vs. FC St.Gallen: Eine Begegnung der anderen Art

Ja, am Sonntag wird Fussball gespielt. Der FC St.Gallen ist ab 16 Uhr zu Gast bei den Young Boys. Am Freitagmorgen zuvor aber galt es für den FC St.Gallen, eine andere Begegnung zu überstehen. Nicht im Stadion, sondern mitten in der Stadt: Neugasse 3, Kreisgericht. Offensivspieler Nassim Ben Khalifa klagt gegen den Club.

Ralf Streule
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Der Fussballer und die Juristen: Nassim Ben Khalifa mit seinem Bruder Amin und den Rechtsvertretern Samuel Horner und Felix Ludwig (von rechts nach links). (Bild: Benjamin Manser)

Der Fussballer und die Juristen: Nassim Ben Khalifa mit seinem Bruder Amin und den Rechtsvertretern Samuel Horner und Felix Ludwig (von rechts nach links). (Bild: Benjamin Manser)

20 Minuten vor Verhandlungsbeginn schreitet der Spieler mit seinen Rechtsvertretern an den Journalisten vorbei. Wo sind die Clubvertreter? Taucht Präsident Matthias Hüppi auf? Sportchef Alain Sutter? Trainer Peter Zeidler? Später im Gerichtssaal wird klar: Rechtsanwalt Marc Wolfer wird den Club allein vor Ort vertreten.

Verletzung des Beschäftigungsanspruchs

Die Sachlage: Ben Khalifa spielt seit langem in der sportlichen Planung des Trainers keine Rolle mehr. Der Vertrag des 27-Jährigen läuft bis 2020 – der Club legt ihm nahe, einen neuen Verein zu suchen. Ben Khalifas Hauptvorwurf: Der Club schliesse ihn vom Abschlusstraining vor den Spielen aus. Auch Taktikschulungen und Videobesprechungen wurden teils ohne ihn durchgeführt, medizinische Angebote habe er nur teilweise nutzen können. Die Anwälte formulieren es so: Eine Verletzung des Beschäftigungsanspruchs liege vor.

Wer nimmt am Abschlusstraining teil? – «Alle ausser ich!»

9 Uhr. Rund zehn Medienvertreter sitzen auf der Zuschauerbank, dazu kommen einige weitere Interessierte. Eineinhalb Stunden dauert die erste Auslegeordnung der Anwälte beider Parteien. Dass Ben Khalifa im Abschlusstraining – in der Regel ein einziges Training pro Woche – nicht teilnehmen darf, passiere allein aufgrund sportlicher Überlegungen, führt der Clubvertreter aus. Man offeriere dem Spieler ein Training unter professionellen Bedingungen. Anders sehen es die Kläger: Ben Khalifa entgingen jegliche Chancen auf einen Platz im Kader und auf einen Spieleinsatz, wenn er sich im Abschlusstraining nicht aufdrängen könne. Was zu kleineren Chancen auf dem Transfermarkt und letztlich zu einer Gefährdung der Karriere führe.

Nach einer Pause macht der Richter klar: Aus seiner Sicht liegt keine Verletzung des Beschäftigungsanspruchs vor. Dafür sei allenfalls das Prinzip der Gleichbehandlung verletzt. Er legt den Fokus auf die Frage: Wird Ben Khalifa ausgegrenzt und diskriminiert, wenn er nicht am Abschlusstraining teilnehmen darf? Der Richter, der sich in Fussballtrainingsfragen ausdrücklich als Laie bezeichnet, fragt Ben Khalifa, wer am Abschlusstraining teilnehmen könne. «Alle ausser ich», sagt der Spieler.

Ungewohnt dünne Stimme

Dann betritt Zeidler den Raum, grüne Jacke, grüne Schuhe. Er und Alain Sutter sind als Zeugen vorgeladen, inzwischen geht es gegen 11.30 Uhr – die Medienkonferenz vor dem Spiel, an der Zeidler gleich noch einmal gefragt sein wird, ist inzwischen verschoben worden. Die richterliche Frage an den Trainer: Wer darf grundsätzlich am Abschlusstraining teilnehmen, wer nicht? Zeidler spricht vom «elf gegen elf», was ein wichtiger Teil des Abschlusstrainings sei und in dem Spielsituationen eingeübt werden – mit jenen Spielern, die für einen Einsatz im Spiel in Frage kommen.

«Ich wollte Klarheit haben und sagte: Nassim, du machst da nicht mehr mit.»

Zeidler gibt mit ungewohnt dünner Stimme Auskunft. Er gibt später zu, dass der Gerichtsauftritt eine emotionale Situation für ihn gewesen sei. Später ist Sutter an der Reihe, er äussert sich ähnlich wie Zeidler – und klopft vor seinem Abgang Ben Khalifa kurz auf die Schulter. Eine weitere Pause später nehmen die Parteien noch einmal Stellung. Diskriminierend oder nicht? Frühestens am Montag soll das Urteil verkündet werden.

Zeidler: «Wir lassen keine Unruhe ins Team bringen»

Eine Stunde später findet sich Zeidler im gewohnten Umfeld: Er gibt zum morgigen Gegner Auskunft, erwartet eine konsequentere Spielweise seines Teams. Spricht von den gelbgesperrten Nicolas Lüchinger und Dereck Kutesa. Von Leonidas Stergiou, der mit der Schweizer U17 drei volle Spiele absolviert hat – und möglicherweise durch ausgeruhtere Spieler in der Innenverteidigung ersetzt wird. Und Ben Khalifa? Erst am Ende der Medienkonferenz lässt Zeidler, «aus Respekt vor dem Gegner YB», Fragen zum Gerichtsfall zu. «Wir lassen keine Unruhe ins Team bringen», sagt er. Sportchef Sutter beteuert später, wie er Ben Khalifa früh und transparent informiert habe, und wie man mit ihm gangbare Wege gesucht habe. Präsident Matthias Hüppi, der an diesem auch für ihn aufwühlenden Tag 61 Jahre alt geworden ist, sagt, dass man das Urteil zur Kenntnis nehmen und damit leben werde. Sprich: Rekurrieren wird der FC St.Gallen wohl nicht. Happy Birthday.