Vor rund 30 Jahren verbrachte der FC St.Gallen mit dem deutschen Trainer Helmuth Johannsen eine seiner erfolgreichsten Phasen der Nachkriegszeit. Mit Joe Zinnbauer an der Seitenlinie lebten die alten Tugenden beim 1:0 gegen Luzern wieder auf.
Nur vier Tage lagen zwischen dem schlechtesten und dem besten Spiel des FC St.Gallen in dieser Saison. Der Unterschied zwischen dem ersten und zweiten Match gegen die Luzerner hatte seinen Ursprung in einem einfachen Mittel: Über den Kampf ins Spiel zu finden, eine einst häufig bemühte Floskel, aber primär eine bewährte Art für Mannschaften, die fussballerisch nicht mit den Besten mithalten konnten. Die St.Galler liessen am Sonntag nicht mehr mit sich geschehen, nahmen die Herausforderung des wiederum keck beginnenden Gegners an und gewannen so selber immer mehr die Oberhand.
Heraus aus der Schockstarre
Wo am Mittwoch die Luzerner noch ungestört ihr Laufspiel aufziehen konnten, standen diesmal St.Galler. Fingen den Gegner ab, mit dem Kopf oder im Zweikampf. Und siehe da: Plötzlich entstand daraus Spielfluss, waren sie Chef auf dem Platz. Plötzlich stimmte die Mixtur so unterschiedlicher Spielertypen wie Mutsch, Aleksic oder Tréand. Die Abwehr war nicht mehr wie Mittwochnacht ein grosses schwarzes Loch, sondern da standen sie kompakt, da standen Angha und Gelmi. Vorne dribbelten mit Lang und Salli endlich zwei Stürmer, die ihre Gegner überlaufen konnten. Über den Kampf ins Spiel finden. Cavusevic ging mit dem Beispiel voran. Am Mittwoch war es noch Everton gewesen, aber allein auf weiter Flur. Weil die andern in Schockstarre gefangen waren.
Prädikat wertvoll
Wie die St.Galler diesmal auftraten, am Spielfeldrand angefeuert von einem deutschen Fussballlehrer, erinnerte mich an die Zeiten von Zinnbauers Landsmann Helmuth Johannsen, in denen Akteure auf dem Espenmoos ebenfalls zu wunderbarer Alchemie fanden - nur dass der äusserlich kühle Norddeutsche ruhig auf der Bank sitzen blieb. Es war das beste Spiel, weil St.Gallen hinten lange Zeit wie zu Saisonbeginn wenig zuliess und sich vorne, eher ungewohnt, häufig in gute Abschlussposition brachte. Zumindest bis weit in die zweite Halbzeit hinein, ehe die Luzerner reagierten, die Kräfte nachliessen und sich das Glück der auch besser kämpfenden Mannschaft zuwandte. Der Sieg war wertvoll, weil er gegen einen starken Gegner erzielt wurde, gegen das nach Basel zweitbeste Auswärtsteam der Saison mit bis anhin vier Siegen, einem Unentschieden und erst einer Niederlage.
Joe trifft Jeff
Nun sollte man von diesem Spiel eine Blaupause machen können. Doch es werden wieder andere Partien kommen, gerade in der so ausgeglichenen Super League. Aber vielleicht werden sich die St.Galler, wenn es wieder weniger gut läuft, an diesen neblig-kühlen 1. November erinnern und an diese Zusammensetzung von Spielern. Nächsten Sonntag kommt es zum Wiedersehen mit Jeff Saibene in Thun. Und vielleicht werden Cavusevic und Kollegen die ersten sein, die sich auf Kunstrasen braune Flecken holen.
Der Stimmungsumschwung kam rechtzeitig. Bisher schien es, als ob Joe Zinnbauer den St.Gallern beibringen will, die Bratwurst mit Senf zu essen. Etwas mehr Würze mit Angriffsfussball war angedacht, doch die Massnahmen griffen nicht richtig. „Die Leistungen werden immer noch schlechter“, stellte der frühere Captain Kurt Brander nach der Cup-Niederlagen gegen Luzern ernüchtert fest.
Cup: Gewagt und verloren
Zur Verteidigung Zinnbauers kann angefügt werden, dass er die Vorgabe hatte, die Mannschaft aus ihrer Lethargie zu reissen und die Torproduktion zu verbessern. Hierfür musste er die Spieler erst einmal kennenlernen und ihnen seine Ansicht von Fussball vermitteln. Dabei wagte er einige Experimente und nahm immer wieder Veränderungen in der Teamformation vor. Der mutigste Einfall war, im ersten Spiel gegen Luzern drei defensive Leute im zentralen Mittelfeld aufzustellen: Wiss, Mutsch und Everton. Die Idee, aus verstärktem Abwehrverbund die auswärts überzeugenden Luzerner zu überlisten, schien auf dem Papier nicht abwegig. Die Art, wie Steven Lang sein Tor erzielte, lieferte sogar die praktische Bestätigung. Das Problem war aber, dass die Abwehr selbst mit sieben defensiven Leuten nicht existierte. Kam noch der frühe Ausfall von Alain Wiss dazu. Dem FC St.Gallen sind weiter erschwerend die wenigen kreativen Akteure ausgegangen. Janjatovic fehlt die Form ebenso wie Tafer, und was ist eigentlich mit Mathys los? Übrig geblieben ist der am Sonntag gute Impulsgeber Aleksic.
Johannsen hatte es einfacher
Helmuth Johannsen stand vor etwas mehr als 30 Jahren weniger unter Zeitdruck als Joe Zinnbauer. Von ihm erwartete die Klubführung eine Platzierung hinter den Spitzenteams, von Rang fünf bis acht. Das entsprach dem damaligen Selbstverständnis des Vereins, der sich innerhalb eines Jahrzehnts vom Abstiegskandidaten zum soliden Mittelfeldteam entwickelt hatte. Doch die Mannschaft belegte dreimal einen Spitzenplatz und qualifizierte sich zweimal für den Uefa-Cup. Johannsen verfügte mit Martin Gisinger, Gerhard Ritter und Christian Gross über Spielerpersönlichkeiten. Nicht zuletzt nutzte der extrem auf Disziplin bedachte Hamburger Reserven bei der physischen Vorbereitung der Spieler, Reserven, wie sie heute nicht mehr bestehen. Johannsen beendete die erste Saison auf dem 10. Platz in der damaligen 16-er-Liga. Niemand in kompetenter Position stellte den Trainer damals in Frage. Platz zehn in Zinnbauers erstem Jahr würde Abstieg bedeuten.
Der fast schon unerwartete Sieg gegen Luzern passt auch ins Konzept der Klubführung. Für die Generalversammlung von diesem Montagabend dürfte Präsident Dölf Früh ein paar unangenehme Fragen weniger über sich ergehen lassen müssen. Das war noch anders, als er am Donnerstag als Gast bei den Ehemaligen referierte. Früh versicherte, dass in der Winterpause nochmals auf dem Transfermarkt reagiert und vermehrt auf Qualität der Spieler geachtet werde. Eine regeltechnisch interessante Episode ereignete sich in der zweiten Halbzeit im St.Galler Strafraum, als der Ball aus kurzer Distanz Mario Mutsch an die ausgestreckte Hand flog. Doch war keine Absicht in der natürlichen Bewegung zu erkennen. Richtig entschieden! Es hätte zwar in der Schweiz Schiedsrichter gegeben, die auf den Punkt gezeigt hätten. Nicht jedoch in England. Dort gab es am Samstag eine ähnliche Szene bei Chelsea gegen Liverpool, als John Terry der Ball an den ausgestreckten Oberarm prallte. Auch hier pfiff der Schiedsrichter nicht. Warum richtig entschieden? Weil es nicht dem Sinn des Fussballsspiels entspricht, wenn ein Match wegen einer solchen Lapalie in die falsche Richtung gelenkt wird. Der Schiedsrichter tat sich am Sonntag auch selber einen Gefallen. Die Szene in der AFG Arena war nach dem Match überhaupt kein Thema. (th)