Danke, Tranquillo Barnetta – Ein Fussballabend für die Erinnerung

Was für ein Schlussbouquet. Als ob Tranquillo Barnettas Rücktritt nicht genug Wehmut auslöste, zeigt der 34-Jährige beim 4:1 nochmals all sein Können. Es bleibt die Verneigung vor einem Grossen des Schweizer Fussballs.

Christian Brägger
Drucken
Die Fans und Tranquillo Barnetta jubeln. (Bild: Urs Bucher)

Die Fans und Tranquillo Barnetta jubeln. (Bild: Urs Bucher)

Ein letztes Mal. An diesem Mittwochabend ist so vieles für Tranquillo Barnetta ein letztes Mal an einem Heimspiel. Der Gegner aus Bern, die Besammlung in St.Gallen, die Besprechung von Trainer Peter Zeidler vor dem Spiel und das Umziehen, das Aufwärmprozedere, die Begrüssung von Platzspeaker Gregor Lucchi für den eigenen Anhang:

«Und mit der Nummer zehn, einer der grössten, den wir in St.Gallen jemals gesehen haben. Tranquilloooo Barnettaaa!».

Die Kurve jubelt, sie hat eine wunderschöne Choreografie einstudiert und zieht ein riesengrosses, 30 Meter hohes Konterfei ihres Idols hoch. Viele Emotionen.

Es war an einem Mittwoch, dem 3. Juli 2002, als so einiges passierte: Dem Milliardär Steve Fossett gelang nach dreizehneinhalb Tagen die erfolgreiche Weltumrundung mit einem Ballon; der Schauspieler Tom Cruise feierte seinen 40. Geburtstag; der Bundesrat beschloss einen dreijährigen Zulassungsstopp für neue Arztpraxen, weil es zu viele Ärzte gab; und: Tranquillo Barnetta, der Bub aus dem Fanblock, debütierte als 17-Jähriger mit seinem FC St.Gallen an der alten Heimstätte im Espenmoos.

15 Bilder

Es wird fast schon kitschig

Das Spiel läuft, es plätschert dahin, Barnetta tritt in der 19. Minute einen Freistoss von der Seite auf der Höhe des Sechzehners, natürlich er. Der Ball wird gefährlich, Musah Nuhu köpfelt an die Latte, der Ball kommt wieder zu Barnetta zurück, der Ruhe bewahrt und auf Jordi Quintillà zurücklegt. Und dann steht es nach Nuhus neuerlichem Kopfball 1:0 für St.Gallen. Die Menge tobt.

Zehn Minuten später wird Barnetta irgendwo im Mittelfeld von einem Berner hart angegangen, er fordert einen Freistoss, den er nicht bekommt. Das Publikum schreit, als wolle es den Gegner einschüchtern und ihren Liebling beschützen. An diesem Abend hat Barnetta beides nicht nötig. Denn unmittelbar vor dem Pausenpfiff wird es fast schon kitschig und der Kreativgeist auf dem Platz liefert einen vielleicht letzten Beweis seiner Fussballkunst, die ihn um die Welt hat reisen lassen: Barnetta erzielt mit viel Übersicht und noch mehr Können in seinem 118. Pflichtspiel für den FC St.Gallen das 2:0, es ist sein 23. Treffer für die Ostschweizer.

Die Fans sind aus dem Häuschen, sie spüren ein weiteres Mal, wie unentbehrlich ihr Eigengewächs ist. Doch genau das wird der Fall sein: Sie werden in Zukunft auf ihn verzichten müssen, nur noch diesen Samstag auswärts gegen Zürich wird die Identifikationsfigur auf dem Platz ein Grünweisser sein. In seinem Herzen aber, da bleibt er es für immer und ewig.

Tranquillo Barnetta nach seinem letzten Heimspiel für FCSG

Die 17 Jahre als Profi haben ihn abgeklärt werden lassen

Tranquillo Barnetta hat in den 17 Jahren als Profi so viel Erfolg gehabt wie kein anderer Profi aus der Ostschweiz. Die vielen aufregenden Jahre in der Bundesliga und mit der Nationalmannschaft, die nicht nur einfach waren, haben ihn abgeklärt werden lassen. Vielleicht hat Barnetta deshalb den schwierigen Beginn in seine letzte Saison so gut weggesteckt, auch weil er immer wusste, wer und was er ist. Man sieht es in jeder Szene.

In der 52. Minute lanciert Barnetta mit einem Zuckerpass Stürmer Jérémy Guillemenot, der alleine vor Goalie Marco Wölfli scheitert. Kurz vor Schluss steht es 4:1, Barnetta tunnelt Kevin Mbabu, der Berner weiss sich in diesem Duell der Generationen nur mit einem Foul zu helfen, sinniger könnte die Szene kaum sein: Penalty. Dass Barnetta in der Folge den Elfmeter nicht an Wölfli vorbeibringt, bleibt der einzige Schönheitsfehler an diesem Abend, aber der Treffsicherste vom Elfmeterpunkt war er ja nie.

Kurz danach ist für die Legende des FC St. Gallen Schluss, Zeidler wechselt ihn für Axel Bakayoko aus. Es gibt stehende Ovationen, der grünweisse Anhang jubelt ihm zu. Und Barnetta zieht am Tag seines 34. Geburtstags ein letztes Mal seine Schuhe im Kybunpark aus. 4:1, was für ein Abend, was für ein Fussballspiel, was für ein perfektes Adieu. Die Fans feiern die Mannschaft, aber vor allem ihn, Barnetta.

Bald einmal nimmt der St. Galler den verdienten Schluck Bier nach dem vollbrachten Tagwerk, umringt von den Mitspielern. Und dann schreitet er in die Kurve zu den Fans, wo sie ihn vielleicht heute noch feiern. Es bleibt die Hoffnung, dass Barnetta kein Einzelfall ist. Es bleibt die Erinnerung. Die Erinnerung an einen bodenständigen St.Galler, der fortging und im Weltfussball Duftmarken gesetzt hat. Und es lebt weiter die Hoffnung. Die Hoffnung, dass Barnettas Geschichte kein Einzelfall bleibt in der eher bescheidenen St.Galler Fussballwelt. Aber einen zweiten Barnetta, das wird es nicht mehr geben.