SCHAFFHAUSEN. Beuys lebt – als Herzstück der Hallen für Neue Kunst in Schaffhausen. Wem gehört seine Installation «Das Kapital Raum»? Muss sie abgebrochen und zurückgegeben werden, wie das Obergericht entschieden hat? Eine Zwischenbilanz.
Wie weiter mit den Hallen für Neue Kunst? Das fragen sich derzeit nicht nur die rund 30 Mitarbeitenden, die ohne Arbeit dastehen. Denn die Kunst-Kathedrale ist geschlossen seit dem Urteil des Obergerichts, das zweitinstanzlich und rechtsgültig die Hallen zur Herausgabe des Beuys-Werkes «Das Kapital Raum 1970–1977» an die drei Kläger (Crex-Sammler) verpflichtet. Nur ganz eingeschränkt werden handverlesene Besucher hineingelassen.
Das Telefon wird zwar bedient, aber der freundliche Herr weiss auch nicht, wann die Hallen wieder öffnen werden. Man hört, dass etwas im Tun sei. «Noch sind nicht alle Messen gelesen», sagt er fast scherzhaft.
Auch Rudolf Auer, ehemaliger und langjähriger Kunstverein-Präsident, will sich nicht näher äussern, deutet indes an, dass er hinter den Kulissen wirke: «Es zeichnet sich eine Lösung ab, aber es müssen halt einige über ihren Schatten springen», sagt der Zahnarzt und Kunstsammler. Das lässt die Angestellten und die Kunstfreunde hoffen.
Und nicht zuletzt zahlreiche Firmen, die die Hallen für Neue Kunst in Meetings oder als expansive Zeitfenster in Programme und Empfänge einbauen. Zum Beispiel hat sich die Vereinigung schweizerischer Privatbankiers in den Hallen getroffen; die Topmanager von Daimler kamen zweimal jährlich.
Kritische Stimmen hingegen gibt es aus Kreisen ehemaliger Mitglieder des Gönnervereins. Der alte Streit zwischen Künstler Urs Raussmüller, dem Gründer der Hallen für Neue Kunst, und den klagenden Crex-Sammlern hat inzwischen auch den Gönnerverein in zwei Lager geteilt. Dass die Hallen jetzt einfach geschlossen seien, «angeblich aus Sicherheitsgründen», empfindet eine ehemalige Gönnerin als «reinen Vorwand». Andere bezeichnen den Zustand hinter vorgehaltener Hand sogar als «eine Frechheit».
Vieles rund um die Hallen sei nicht in Ordnung, was auch zu Austritten aus dem Gönnerverein geführt habe. Empfindliche Verluste, denn die Gönner zahlten im Minimum 1000 Franken Jahresbeitrag.
Urs Raussmüller soll auch immer wieder einmal seine wohlmeinende und monetär nicht kleinliche Entourage brüskiert haben, was den Freundeskreis der Hallen nicht unbedingt vergrössern half. In ihrem Communiqué nach dem Urteil des Obergerichtes vom 20. Dezember schreibt die «Stiftung für neue Kunst» unter anderem, dass nach dem «so nicht erwarteten Urteil» massive Geldforderungen die finanziellen Möglichkeiten überschreiten würden. Mit einem Weiterzug des Urteils an das Bundesgericht hätte man zwar Zeit gewinnen können; wegen fehlender Mittel und auch fehlender neuer Argumente könne dies aber nicht avisiert werden, sagt Stiftungsratspräsident Axel Plambeck.
Auch daran üben ehemalige Gönner Kritik. Dass Geldmittel fehlen würden, hätte man vorausschauend und buchhalterisch bei der mit einem Kapital von 80 000 Franken gegründeten Stiftung und den approximativ zu berechnenden Gerichtskosten in die Rechnung einplanen sollen. Die Gerichtskosten belaufen sich auf 180 000 Franken; die Parteienentschädigung von 221 000 Franken schlägt ebenfalls massiv zu Buche. Insgesamt steht die Stiftung mit 401 000 Franken in der Kreide. «Wie kann man nur so eine hohe Summe an Prozesskosten riskieren, wenn man nicht in der Lage ist, diese Kosten bei einem entsprechenden Urteil zu bezahlen?», fragt eine weitere ehemalige Gönnerin. Die eigenen Anwaltskosten, die sich im sechsstelligen Bereich bewegen und nicht mit eingerechnet sind, sind durch einen Donator gesichert, dessen monetäres Engagement aber nachher endet.
Hier das Argument, es handle sich bei Joseph Beuys' Werk «Das Kapital» um eine Ikone der Kunstgeschichte als künstlerisches Ganzes – da das Gegenargument, die Installation sei für die Kunstbiennale Venedig 1980 entworfen und gezeigt worden und erst danach in Schaffhausen durch Beuys, seinen Assistenten Heiner Bastian (der heute in Berlin eine Galerie betreibt) und Urs Raussmüller eingerichtet, also gewissermassen wieder geschaffen worden.
Dass eine Rauminstallation nicht wie ein Bild einfach ab-und umgehängt werden kann, ist offensichtlich. Dennoch machen Vorschläge die Runde, dass «Das Kapital» ebenso gut anderswo wieder aufgebaut werden könne im Sinne und Geiste Beuys' und vor allem gemäss seiner Auffassung von Kunst als Veränderung in der Gesellschaft und durch die Gesellschaft.
Die Schaffhauser Steuerzahler dürfte in erster Linie interessieren, ob die Hallen nun bald mit oder ohne Beuys' Installation wieder öffnen und weiterhin auf dem Radar der internationalen Kunstszene bleiben. Denn «ihre Hallen» sind bislang jedes Jahr mit stolzen Summen alimentiert worden: mit 400 000 Franken vom Kanton und 60 000 Franken von der Stadt Schaffhausen. Nicht für «Kunst mit Bildli und Nägeli für übers Cheminée», wie Hallen-Gründer Raussmüller zu spötteln pflegte. Er wollte sich bei früherer Gelegenheit nie als Kunstsammler bezeichnet wissen, denn es gehe ihm nicht um Besitz, sondern einzig und allein um den Fortbestand der Kunst.
Hier setzen auch die Pragmatiker an, nach denen die Installation statt zufällig in Schaffhausen ebenso gut anderswo eingerichtet werden könnte. Ob allenfalls die Basler zum Handkuss kommen, wo sich Raussmüller vor einiger Zeit in einem alten Fabrikgebäude neben der Kehrichtverbrennungsanlage niedergelassen hat, oder ob eher die Zürcher (wo die Crex-Sammler, die den Rechtsstreit gewonnen haben, domiziliert sind) neben dem Hafenkran bald auch «Das Kapital» haben werden?
Die Künstlerwitwe Eva Beuys hat durch ihren Anwalt ausrichten lassen, schreibt die «NZZ am Sonntag» kürzlich, dass sie sich «als Erbin der Urheberrechte sieht und die Installation durch einen Abbau zerstört würde». Oder wird schliesslich der Bund eine denkmalschützerische Verfügung über den Verbleib der Installation in Schaffhausen erlassen? Optionen mit vielen Fragezeichen.