Gschobe #29
Ein Prozent fürs gute Gewissen

Sie stammen aus dem gleichen Dorf im Appenzellerland, sind zwischen 45 und 48, treffen sich einmal pro Woche und jassen oder spielen Boule. Pius, Qualitätsmanager, Appenzell David, Lehrer, Speicher AR Tobias, Consultant, Zürich Flavio, Sozialarbeiter, Kirchberg SG François, Journalist, Windisch.

François Schmid-Bechtel
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Tobias: Matthias Ginter ist für mich ein richtig grosser Fussballer.

David: Matthias wer?

Tobias: Ginter. Verteidiger bei Mönchengladbach. Weltmeister mit Deutschland – wenn auch nur als Ergänzungsspieler, aber immerhin.

David: Und was ist an diesem Typen so sensationell?

Tobias: Ginter hat kürzlich in einem Interview gesagt, Fussballer würden zu viel verdienen. Und er plädiert für eine Gehaltsobergrenze, wie man sie aus dem nordamerikanischen Mannschaftssport kennt.

Pius: Ist das nicht heuchlerisch? Der Typ hat gut reden. Als Millionär würde es mir auch leichter fallen, einen auf Gutmensch zu machen.

François: Ich finde nicht, dass Ginter einen auf Gutmensch macht. Er reflektiert, spricht von einem Missverhältnis, stellt sich aber nicht über alle anderen. Im Gegenteil: Ginter gibt offen zu, ein schönes – und wahrscheinlich saumässig teures – Auto zu fahren. Es geht ihm richtigerweise nicht ums Geldausgeben – was tatsächlich nicht relevant ist –, sondern um das Einnehmen.

Pius: Ich verstehe die Diskussion nicht. Schliesslich sind wir uns wohl alle einig, dass Fussballer zu viel verdienen.

David: Erstaunlich ist doch, dass ein Begünstigter die Lohndebatte lanciert hat.

Tobias: Ginter ist aber nicht der erste deutsche Fussballer, der die exorbitanten Löhne kritisch beäugt. Auch Ilkay Gündogan hat sich schon ähnlich zu diesem Thema geäussert.

Pius: Wie viel verdient Gündogan bei Manchester City? 10 Millionen pro Jahr? Oder 12? Und wie viel davon spendet er karitativen Zwecken? Ihr redet, als schwappe eine Welle der Nächstenliebe und der sozialen Gerechtigkeit über den Fussball. Die Realität ist: Etliche Fussballer stehen wegen Steuerhinterziehung mit einem Bein im Gefängnis.

François: Da kann ich dir nicht widersprechen. Trotzdem gibt es vereinzelte Zeichen der Vernunft wie eben das Statement von Ginter. Und es gibt eine vom spanischen Fussballer Juan Mata gegründete Organisation mit dem Namen CommonGoal, wo Fussballer und Fussballerinnen ein Prozent ihres Lohnes abgeben, um weltweit soziale Projekte mit Bezug zum Fussball zu unterstützen.

Pius: Ein Prozent – hoffentlich verarmen die paar gutmütigen Fussballer nicht.

David: Ach, jetzt hör doch mal auf zu stänkern. Das ist doch immerhin mal ein Anfang.

Pius: Ein Anfang von was? Messi verdient inklusive Werbeeinnahmen schätzungsweise 80 Millionen pro Jahr. Trotzdem hält er es für nötig, Steuern zu hinterziehen. Nein, ich glaube nicht mehr an das Gute im Fussballer.

Tobias: Ich schon. Ich glaube an Typen wie Ginter und Mata. Denn ich glaube, dass der Kulminationspunkt erreicht ist. Die Welt des Fussballs realisiert, dass die Differenz zwischen Arm und Reich, zwischen Profi und Fan, zwischen Champions und Super League zu gross geworden ist. Es braucht Chancengleichheit. Es braucht Transparenz. Es braucht mehr soziale Verantwortung. Es braucht ein Umdenken. Auf allen Ebenen. Und ich bin überzeugt, dass die Welt des Fussballs in 20 Jahren eine gerechtere sein wird als heute.

Pius: I have a dream. Und in 32 Jahren hocken wir zusammen mit Ciriaco Sforza im Altersheim vor der Glotze, gucken WM und hoffen auf einen Finalsieg Finnlands gegen Neuseeland.