Wenn einer der renommiertesten Violinisten nach Frauenfeld kommt, ist das etwas Besonderes. Simon Standage bot unter Friederike Chyleks Cembalo-Begleitung stilvoll gespielte Raritäten aus der Welt des italienischen Barocks.
FRAUENFELD. Nach Dutzenden von Jahren der Bühnenerfahrung spielt Simon Standage nach wie vor treffsicher, virtuos und mit Charme. Dies hat sich vorgestern gezeigt, als er zusammen mit der Cembalistin Friederike Chylek auf Einladung der Konzertgemeinde Frauenfeld auftrat.
Vielfach wird Simon Standage als Violin-Virtuose oder Star-Geiger angepriesen. Das kann missverständlich sein, da diese Begriffe häufig mit Eigenschaften wie Extrovertiertheit und Effekthascherei in Verbindung gebracht werden. Im Saal des Frauenfelder Rathauses verkörperte Standage das reine Gegenteil solcher Klischees. Er stand geerdet und ruhig da und spielte auf seiner 327jährigen Barock-Violine umso präziser in gediegenen, runden Strichen «in stile italiano», wie sich das Programm nannte. Vom ersten Takt an eröffnete sich eine Welt von italienisch geprägter Barockmusik, die selten aufgeführt wird. Zum Stichwort Barock kommen einem in erster Linie Bach, Telemann, Händel und Vivaldi in den Sinn. Umso berechtigter ist es also, an Komponisten wie Biagio Marini, Pietro degli Antonii oder Nicola Matteis zu erinnern.
Mit Werken von zehn Komponisten aus dem 17. Jahrhundert boten Simon Standage und Friederike Chylek einen Querschnitt durch eine Musiklandschaft der Unvergänglichkeit, Impulsivität und Lebenslust. Anschaulich war zu hören, wie stark sich das Spannungsverhältnis zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit auch in der Barockmusik niederschlug. Bei Girolamo Frescobaldis Cembalowerk Cento Partite sopra Passacagli ist das Tempo langsam und die Musik voller musikalischer Déjà-vus: Die Stimmen imitieren einander fortlaufend, was die Cembalistin transparent zum Tragen bringt. Ein weiteres Beispiel sind die von Ostinato geprägten Werke wie Antonio Bertalis Chiacona in C oder die Sonata III in F-Dur von Heinrich Ignaz Franz Biber. Dort legt das Cembalo mit der einfachen, endlosen Akkordfolge I – V – VI – IV – V einen Klangboden. Währenddessen badet die Violine mit einer improvisationsnahen Stimme in zeitgebundenen Momente wie tänzerischer Lebensfreude oder grosser Langeweile, die sich durch immer ungeduldiger und virtuoser werdende Bogenstriche in der Schwierigkeitsstufe von Vivaldi und Paganini auszeichnet.
Simon Standage spielte seine Stimme so lebendig, als käme sie spontan aus dem Moment heraus und widerspiegelte so den kurzlebigen Aspekt der Emotionen, die diese Musik hervorbringt. Dabei machte er sich nicht selber zu einem Teil dieser Impulsivität, sondern bewahrte stets eine Distanz zum Gespielten. Er liess sich also nicht von den Gefühlen beherrschen, sondern stand darüber wie ein Architekt der Affekte.
Damit tat Simon Standage das, was bei Barockkomponisten gang und gäbe war. Als Vertreter der Affektenkunst komponierten sie die Werke so, dass sie durch bewusst ausgesuchte musikalische Ausdrucksmittel seelische Regungen wie etwa Freude, Angst oder Trauer bei den Zuhörern hervorriefen. Dass dies auch heute noch ein gangbarer Ansatz ist, zeigt die Wirkung von Simon Standage und Friederike Chylek, die übrigens ähnlich musizierte. Die Zuhörer wirkten erfreut und angetan von den Vorträgen und schienen in Simon Standage weder die Allüren eines Stars noch die Effekthascherei eines Virtuosen zu vermissen.