Der Thurgauer Ruderer Nico Stahlberg wechselt im Hinblick auf die Olympischen Spiele das Boot

Nico Stahlberg will sich diesen Winter für den Vierer ohne empfehlen. Es ist seine Chance, nächstes Jahr doch noch an die Sommerspiele nach Tokio zu reisen.

Raya Badraun
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Nico Stahlberg hat im Skiff einiges erreicht - nur die Qualifikation für die Olympischen Spiele nicht. (Bild: KEYSTONE)

Nico Stahlberg hat im Skiff einiges erreicht - nur die Qualifikation für die Olympischen Spiele nicht. (Bild: KEYSTONE)

Nico Stahlberg bekommt Gänsehaut, wenn er an den WM-Viertelfinal denkt – noch immer. Er hatte damals alles gegeben, sein bestes Rennen der Saison gezeigt. Und doch nicht das geschafft, was er sich erhofft hatte: das Erreichen des Halbfinals und damit die Chance, sich für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio zu qualifizieren. «Dieses Rennen, dieses Jahr kostete so viel Energie», sagt Stahlberg.

«Es ist hart, dass mein Einsatz nicht belohnt wurde.»

Es ist Ende September und Stahlberg sitzt in einem Café in Weinfelden. Draussen tobt die Wega, drinnen macht sich der Thurgauer Ruderer, der im November 28 Jahre alt wird, Gedanken über seine Zukunft. Die Saisonvorbereitung hat da noch nicht begonnen. Stahlberg fährt Velo statt zu Rudern, er veranstaltet einen Apéro für seine Gönner und Sponsoren, trifft Freunde, für die er sonst kaum Zeit findet. Es ist ein Schwebezustand, in dem er sich befindet.

Er weiss nicht recht, wie es weiter gehen soll – nur dass es weiter gehen muss. Zu sehr mag er das Rudern, zu sehr träumt er noch immer von den Olympischen Spielen im kommenden Sommer. «Ich sehe mich dort», sagt Stahlberg an diesem Nachmittag.

«Ich will mir nicht ausmalen, wie es wäre, wenn ich es nicht schaffen würde. Es wäre heftig.»

So stellt er sich nur eine Frage: Wie erreiche ich mein Ziel doch noch?

Das Teamgefühl vermisst

Stahlberg hatte zwei Möglichkeiten. Einerseits bestand immer noch die Chance, sich mit dem Einer zu qualifizieren. Der entsprechende Wettkampf findet jedoch erst nächstes Jahr kurz vor den Olympischen Spielen statt. Andererseits war da noch der Vierer ohne Steuerfrau, ein Boot, das sich an der WM bereits qualifiziert hatte. Es war ein langes hin und her, bis sich Stahlberg für das Mannschaftsboot entschied. Weil er zuletzt das Teamgefühl vermisst hatte, weil er dort die grössten Chancen im Hinblick auf Tokio sah, weil es in ihm ein neues Feuer entfachte. Der einfache Weg ist es jedoch nicht.

Es gibt nur wenige Ruderer, die dieses Kunststück schaffen: In verschiedenen Bootsklassen erfolgreich sein. Stahlberg hat schon öfter seine Anpassungsfähigkeit bewiesen. Er kann sich ohne Probleme auf neue Teamkollegen einstellen, das Boot wechseln. Mit dem Doppelvierer wurde er U23-Weltmeister und nahm an zwei Olympischen Spielen teil. In London 2012 wurde er Zwölfter, in Rio 2016 holte er mit dem siebten Rang ein Diplom. Danach gewann er im Skiff den Gesamtweltcup und im Doppelzweier Weltcup-Podestplätze. Was diese Bootsklassen jedoch teilen: Die Skulls, also die Art der Ruder.

Im Vierer ohne hingegen wird mit Riemen gerudert. Da jeder nur ein Ruder hält, ist das Zusammenspiel noch entscheidender. Stahlberg sagt:

«Man muss mit seinem Partner verheiratet sein.»

Es sei eines der schwierigsten Boote, aber auch das schönste, wenn man es beherrscht. Er lacht am Telefon. Letzteres könne er noch nicht bestätigen. Der Wechsel verlangt von ihm viel Geduld. «Ich musste fünf Schritte zurück und wieder in der Primarschule anfangen», sagt Stahlberg.

Hüftprobleme in den Griff bekommen

Seit zwei Wochen trainiert er nun wieder in Sarnen – vorerst noch im Zweier ohne. «Ich spüre, dass es gut kommt», sagt er – und tönt dabei ganz anders, als noch vor ein paar Monaten. Damals plagten ihn noch Hüftprobleme. Vor dem Trainingsstart reiste Stahlberg nach Deutschland zu einem Spezialisten. In einer intensiven Woche zeigten ihm Physiotherapeuten, welche Übungen er machen muss. «Es ist ein ganz neues Gefühl», sagt er. «Die Schmerzen sind vergessen.» Er ist froh darüber, denn es bleibt ihm nicht viel Zeit.

Im kommenden März findet ein Ergometer- und Wassertest über die Renndistanz statt. Danach wird entschieden, wer im Vierer ohne sitzt. Sechs Ruderer hoffen auf einen Platz. «Würde ich es nach Tokio schaffen, wäre es eine Bestätigung, dass ich ein kompletter Ruderer bin», sagt Stahlberg.