Der FC St. Gallen erlebte einen goldenen Herbst, weil er engagiert war, lauffreudig, gierig nach Erfolg. Im neuen Jahr fehlt ihm diese Qualität. Nach der 0:3-Niederlage beim Letzten Lausanne ist er am vorläufigen Tiefpunkt angelangt.
FUSSBALL. Als das Spiel ausklang auf der Pontaise, da passierte etwas, das alles aussagte über diesen Nachmittag: Die St. Galler Anhänger wurden zu Spöttern. «Uuuuiiiii» schrien sie, als Goran Karanovic einen Schuss über das Tor setzte; «uuuuiiiii», laut und vielstimmig. Der Spott war ihre einzige Rettung an diesem Tag. Jede Hoffnung auf einen Punktgewinn war längst dahin.
Später, nachdem sich die St. Galler Spieler kurz bei den Fans bedankt haben, steht Philippe Montandon in den Katakomben und denkt an diesen Moment. «Es tut weh, wenn man belächelt wird», sagt der St. Galler Captain, der an diesem Nachmittag die Worte suchen muss, und das passiert ihm, dem Eloquenten, sonst selten. «Die Situation macht uns allen zu schaffen», sagt er, und auch: «Ich bin zum ersten Mal ein wenig ratlos in den zweieinhalb Jahren, die ich jetzt hier bin.»
Konsequenter wollten die St. Galler wieder auftreten in Lausanne, eine ganze Woche lang hatten sie darüber gesprochen. Doch als sie dann auf dem Platz standen, war davon nichts mehr zu sehen; am Ende verloren sie 0:3, beim Tabellenletzten, der erst seinen zweiten Heimsieg feierte und den vierten insgesamt in dieser Saison. Er darf jetzt wieder vom Ligaerhalt träumen. St. Gallen ist derweil auf den siebten Platz abgerutscht, dreimal hat es nun in Folge verloren.
Es war nicht einmal so, dass die Westschweizer besonders gut waren. Sie hatten ihren Willen, sie legten sich ins Zeug, das schon. Viel mehr zeigten sie nicht, und viel mehr brauchten sie auch nicht, um gegen die St. Galler an diesem Nachmittag zu Toren zu kommen. Viermal wurde Lausanne gefährlich, dreimal war ein Treffer das Ergebnis: Yoric Ravet traf wunderbar aus der Distanz, Miha Mevlja hatte nach einem Eckball Platz und Zeit – das waren die Tore zum 2:0 und 3:0, die das Spiel nach der Pause entschieden. Zuvor war Pascal Feindouno erfolgreich, auch er nach einer Standardsituation, und wieder hatte die St. Galler Abwehr nicht gut ausgesehen. Feindouno, der 32jährige Guineer, war noch der beste Spieler in einer mässigen Partie. Der Stürmer versprühte so etwas wie individuelle Klasse – den St. Gallern ging derlei gestern völlig ab.
Der Anfang war noch das Beste gewesen am Auftritt der Ostschweizer, sie begannen dominant, griffen einmal schön über links an – die Flanke von Sébastien Wüthrich sauste durch den Strafraum, ohne berührt zu werden – und kamen mit Matias Vitkieviez nach 26 Minuten zu ihrer besten Chance. Bald aber prägten lange Bälle ihr Spiel, zahllose lange Bälle, denen eines gemeinsam war: Sie fanden meist keinen Abnehmer. Es schien fast so, als seien die St. Galler einzig darauf aus, den Ball so schnell wie möglich wieder loszuwerden – ein Zeichen dafür, wie es derzeit um das Selbstvertrauen der Mannschaft steht.
Doch das fehlende Konzept im Spiel nach vorne war noch eines der kleineren St. Galler Probleme. Viel schwerer wog, dass sie ihre Kernqualität verloren haben, die Basis ihres Spiels, der Ausgangspunkt aller Erfolge im Herbst: Ihren Hunger. Ohne ihn funktioniert St. Gallen nicht, keine Fussballmannschaft kann das. Doch die Ostschweizer sind ganz besonders auf ihn angewiesen, weil es ihre grosse Stärke ist, viel zu laufen, den Gegner zu bedrängen, mehr zu machen als er. Sein Hunger hat den FC St. Gallen Dinge erreichen lassen, die man ihm nicht zugetraut hatte. Vielleicht haben die Spieler darob vergessen, das er stets die Voraussetzung war. Das muss sich ändern, denn die Erfolge der vergangenen Monate haben die Erwartungen an den Club erhöht. Auftritte wie der von gestern in Lausanne haben in diesem Bild keinen Platz. Jeff Saibene ist jetzt gefordert. Er muss seine Spieler wieder dazu bringen, hungrig zu sein.