Bereit für den Mont Ventoux

Analyse zur Situation der Nationalmannschaft

Christian Brägger
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Nationaltrainer Vladimir Petkovic erläutert den Schweizer Spielern seine Strategie. (Bild: Gian Ehrenzeller/KEY (St. Gallen, 30. August 2017))

Nationaltrainer Vladimir Petkovic erläutert den Schweizer Spielern seine Strategie. (Bild: Gian Ehrenzeller/KEY (St. Gallen, 30. August 2017))

Vladimir Petkovic spricht gern in Bildern. Ende März redete der Nationalcoach nach der Hälfte des WM-Qualifikationsprogramms von kleinen Pässen, die man mit den fünf Siegen erklommen habe. Die Schweiz quasi eine Radequipe, die Etappen abstrampelt. Im Mitteldrittel der Kampagne blieben gegen die Färöer, Andorra und Lettland die Pässe überschaubar, sie waren kleine Hindernisse – oder eben: Charaktertests. In einem Monat aber folgen auf der Zielgeraden nun die Berge, die zum Stolperer führen könnten. Die Rundfahrt wird auswärts mit Portugal abgeschlossen, dem härtesten Gipfel, den es in der Gruppe gibt; Ronaldo & Co. als Mont Ventoux sozusagen, als jener Teufelsberg, an dem selbst die stärksten Radprofis an der Tour de France Höllenqualen leiden.

Doch Gewahr. Der Lauf der Schweiz scheint endlos. Im Fifa-Ranking ist sie die Weltnummer vier. Seit 14 Spielen hat sie nicht mehr verloren (in der Statistik gilt die EM-Achtelfinalniederlage gegen Polen nach Elfmeterschiessen als Unentschieden). Seit sage und schreibe 26 WM-Qualifikationspartien ist sie unbesiegt, was fast drei Qualifikationsturnussen entspricht. Mit dem Schweizer Rekord von 2,03 Punkten pro Spiel erzielt Petkovic überdies einen Wert, der auch inter­national Anerkennung findet. Manchmal muss man sich die Augen reiben ob all dieser Zahlen: die kleine Schweiz, im Fussball ein Schwergewicht.

Noch ist es nicht ganz so weit. Zumal die starken Gegner, die in die Knie gezwungen wurden, für diese Etikette schlichtweg fehlen. Gerade deswegen ist die Zeit für Petkovic und seine Mannschaft reif, bei den Lusitanern das tatsächliche Zeugnis abzuholen. Unweigerlich werden Verweise auf schicksalhafte Partien hervorgebracht, in denen die Schweiz scheiterte. Traut man ihr tatsächlich zu, am Ende mit vollen Händen dazustehen und damit den direkten Weg nach Russland zu nehmen?

Granit Xhaka sagt, die Einstellung in Portugal müsse sein, als bestreite man den WM-Final: «Entweder bestehst du dann oder du bist der Böögg.» Das Schicksal der menschengrossen Schneemannpuppe ist bekannt: Anfänglich bestaunt, wird er am Schluss verbrannt. So soll es dieser Mannschaft nicht ergehen. Zumal sie sich in den mehr als drei Jahren unter Petkovic das Rüstzeug erarbeitet hat, um zu bestehen. «Wir haben uns ständig weiterentwickelt», sagt Admir Mehmedi.

Das Positive, das Mehmedi anspricht, ist auf und insbesondere neben dem Platz zu suchen. Der Trainer verkauft sich heute besser, wirkt authentisch. Indem sich Team und Trainer aufeinander einliessen, entstand Nähe. Petkovic hatte am Sonntag einen heftigen Disput mit Xhaka, weil dem Mittelfeldstrategen seine Auswechslung so gar nicht passte (der Trainer wollte den Spieler vor einer zufälligen gelben Karte und damit vor einer Sperre bewahren). Xhaka berichtete später, es sei alles wieder gut, «wir sind wieder Freunde». So ist das heute im Nationalteam, es wird geredet und nicht geschwiegen, der Umgang funktioniert. «Die Kommunikation ist besser geworden», sagt auch Xhaka.

Petkovic betont, wie weit seine Spieler im Kopf seien. Was für eine Reife, Konzentration und Geduld sie an den Tag legen würden, wenn es darum gehe, heikle Aufgaben zu lösen. Soeben haben die Franzosen erfahren, was es heisst, gegen Aussenseiter wie Luxemburg zu straucheln. Kann man der Schweiz also zugutehalten, unter Pektovic gelernt zu haben, wie man an seinen Aufgaben wächst?

Die Idylle in der Gruppe B stört derzeit nichts und niemand. Höchstens Portugal. Ist die Schweiz fähig, in Lissabon zu bestehen? Nein, mit Blick auf die Vergangenheit. Ja, mit Blick auf die Gegenwart. Von der Vergangenheit kann niemand leben. Petkovic weiss das, er will zuerst die Ungarn besiegen. Man traut es ihm zu.

Christian Brägger

christian.braegger

@tagblatt.ch