GOTTLIEBEN. Das Einmannstück «Fontamara» erzählt von der Not und dem Widerstand armer Bauern im faschistischen Italien. Die letztjährige Produktion des Kellertheaters St. Gallen kommt nun nach Gottlieben ins Bodmanhaus.
Klar wird erst ganz am Schluss: «Hier können wir nicht bleiben.» Matthias Peter zieht das Jackett an und nimmt den Hut. Veränderung tut not. Viel zu lange hat sich in Fontamara nämlich nichts getan. «Fontamara», so heisst Ignazio Silones erster Roman, in dem der Autor das Leben im gleichnamigen Bauerndorf in den Abruzzen beschreibt.
Matthias Peter, Schauspieler und Leiter der Kellerbühne, hat aus dem Roman eine Theaterfassung gemacht, gemeinsam mit Regisseurin Nicole Knuth (bekannt vom Kabarettduo Knuth und Tucek). Die zweite Eigenproduktion der Kellerbühne war letzten November in St. Gallen zu sehen, jetzt zeigt das Bodmanhaus dieses Stück fast vergessener Weltliteratur kommende Woche zur Saisoneröffnung.
Matthias Peter steht allein auf der Bühne und schlüpft in verschiedene Rollen. Er führt einerseits als Schriftsteller, dem die Bauern berichten, durch den Abend. Anderseits verkörpert er die mausarmen Bauern, cafoni genannt. Matthias Peter schildert ihre Not, erzählt von ihrem kargen Alltag im Italien der Zwanzigerjahre und davon, wie der Faschismus allmählich auch entlegene Bauerndörfer erreicht.
Zunächst bleibt aber alles beim alten, oder wie Matthias Peter am Anfang sagt: «In Fontamara ändert sich nichts.» Dorfbewohner bleiben unter sich, die Männer fahren hinaus aufs Feld, die Frauen sorgen daheim für die Kinder, und sollte sich doch einmal ein Gemeindebote hierher verirren, wird er mit Flinten aus dem Dorf gejagt.
Doch allmählich zeichnen sich Veränderungen ab. Neue Steuern bereiten den cafoni Sorgen, und als ein reicher Fabrikbesitzer einen Bach «im höheren Interesse der Produktion» umleiten will, steht die Wasserversorgung der Felder und damit die Lebensader der Bauern auf dem Spiel. Widerstand erscheint zunächst zwecklos. Immer wieder werden die cafoni abgewimmelt oder ihr Schicksal wird mit Papieren besiegelt, die zwar notariell beglaubigt sind, deren Inhalt aber absurd und unverständlich ist.
Die Situation spitzt sich zu. Im Dorf soll eine Polizeistunde eingeführt werden, Diskussionen über Politik werden verboten, die cafoni werden in die Stadt gekarrt, um auf Befehl Politiker zu bejubeln. Die Wut wächst, und als Milizsoldaten in Fontamara einfallen und die Frauen des Dorfes vergewaltigen, lähmt alle die Ohnmacht: «Keiner begriff etwas. Niemand sprach.»
Mit minimalen Mitteln versteht es Matthias Peter, das Erzählte zum Leben zu erwecken und das Italien von damals in eine Schweizer Stadt von heute überzusiedeln. «Fontamara», wie schon «Der Mann im Turm» im vergangenen Jahr, funktioniert als reduziertes Theaterstück. Manchmal verstärkt eine faschistische Bläserfanfare aus dem Lautsprecher den Ernst der Lage. Oder der aufgeblähte Schatten des Schauspielers an der Wand verdeutlicht, dass im Hintergrund noch Grösseres droht, als den kleinen Bauern lieb sein kann.
Vor allem aber lebt «Fontamara» vom eindringlichen und fesselnden Spiel des Solisten. Matthias Peter tigert um den Schreibtisch, hält nachdenklich inne, setzt sich auf den Stuhl, springt wieder auf und zieht Kreise. Dabei spielt er die Doppelzüngigkeit der Beamten ebenso überzeugend wie die Skepsis der Bauern oder die Arroganz der reichen Herren.
«Fontamara» rüttelt auf und lähmt zugleich. Laut aufbegehren oder lieber stillschweigen? Das ist der Zwiespalt aller Unterdrückten, und er bleibt bis heute aktuell. Nach wie vor tut Veränderung not. Die Frage ist nur, in welche Richtung. Oder um mit den cafoni zu fragen: «Was sollen wir tun?»
Do, 16.1., 20 Uhr, Bodmanhaus, Gottlieben