Der russische Verband feiert an der WM in Moskau und St. Petersburg sein 70jähriges Bestehen. Mit dem angestrebten Titelgewinn will er die Dominanz früherer Jahre neu aufleben lassen. Dabei brauchte er einst den Antrieb der Deutschen.
EISHOCKEY. Zu Sowjetzeiten gewannen die Russen im Eishockey alles, was es zu gewinnen gab. Die Sbornaja, die Nationalmannschaft Russlands, dominierte zwischen 1954 und 1990 den Sport wie kein anderes Team. In den 36 Jahren entschied sie siebenmal das Olympiaturnier zu ihren Gunsten und 22mal die WM. Nach einem Zwischentief – ausgelöst durch den Fall des eisernen Vorhangs – gehört Russland heute wieder zu den Grössten im Welteishockey. Doch ohne die Deutschen hätten die Russen vielleicht gar nie zum Eishockey gefunden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Kanadier bereits Meisterschaften spielten, wussten in Russland nur wenige, was Eishockey überhaupt ist. Damals wurde vor allem in der Region um St. Petersburg Bandy gespielt, ein Ballspiel und Vorgänger des heutigen Unihockeys. Die Sportart war von Skandinavien her nach Russland übergeschwappt.
Nachdem 1908 in Paris die Ligue Internationale de Hockey sur Glace durch Vertreter aus Belgien, England, Frankreich und der Schweiz gegründet worden war, traten drei Jahre später auch die Russen bei. Sie erkannten das Potenzial in der Vereinigung, die 1957 zur International Ice Hockey Federation IIHF wurde, dem heutigen Weltverband. Allerdings war zunächst alles ein grosses Missverständnis. Denn die Russen verstanden nicht, weshalb der Sport auf Eis ausgetragen wurde. So wird die Geschichte jedenfalls im neueröffneten Museum neben dem Moskauer WM-Stadion erzählt, das ganz der Sbornaja gewidmet ist.
Es kam sogar so weit, dass Russland wieder aus dem internationalen Eishockey-Verbund ausgeschlossen wurde – «wegen Inaktivität», wie es offiziell hiess. Die Russen waren verwirrt und unternahmen 20 Jahre lang keine Anstrengungen mehr, zur Eishockeyfamilie zu gehören. Unvorstellbar aus heutiger Sicht. Doch dann kam der Moment, in dem die Deutschen auf den Plan traten. Eine Delegation der Deutschen Arbeiterpartei besuchte in den 1930er-Jahren Moskau und überredeten die russischen Genossen dazu, fortan auch Eishockey zu spielen. Es war der Beginn der «roten Maschine», wie sich Russland im Eishockey heute noch gerne nennt. Die ersten drei internationalen Freundschaftsspiele gewann die Sowjetunion prompt. Talent schien also vorhanden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg stand der Sport weit oben in der Agenda der sowjetischen Regierung – alleine schon aus Propagandazwecken. Und in Moskau wurde begonnen, intensiv das kanadische Eishockey zu studieren. Wenn sie schon lernen mussten, dann am besten gleich von den Erfindern der Sportart, dachten sich die Russen. 1946, also vor genau 70 Jahren, trug die sowjetische Eishockeynationalmannschaft ihr erstes offizielles Länderspiel aus. Schnell wuchs der Wille nach Emanzipation. Und die Sowjets begannen, das Eishockey zu perfektionieren.
Die damaligen Verhältnisse hinter dem eisernen Vorhang boten die perfekten Voraussetzungen dazu. Als wesentlicher Grund für die Überlegenheit der Sbornaja wurde von vielen Experten das unverwechselbare Zusammenspiel des eingespielten Kaders angeführt, das über Jahre hinweg nahezu identisch mit dem des Serienmeisters ZSKA Moskau war – der Club der Armee notabene. So löste die Sowjetunion Kanada als dominierende Eishockey-Nation ab.
Auch verstanden es die Sowjetrussen, als eine der ersten Nationen, den Sport wissenschaftlich zu erforschen und so weiterzuentwickeln. Im Moskauer Museum ist ein Stock aus den 1970er-Jahren ausgestellt, der am Schaft mit ganz vielen Drähten versehen ist. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein unerlaubtes Hilfsmittel, ist in Tat und Wahrheit eine Messmethode der ersten Stunde für die Schussgeschwindigkeit.
Die politischen Geschehnisse beendeten die Dominanz Anfang der 1990er-Jahre abrupt. Mit dem Niedergang der Sowjetunion verloren die Russen die Vorreiterrolle im Eishockey. Geblieben ist indes der Stolz in die Sbornaja, die «rote Maschine» – im Museum ganz offensichtlich.