Derendingen
Im «Elsässli» beginnt alles nochmals von vorne

Der Kanton hat die Verfügungen wegen der belasteten Böden verschickt. So sollen unter anderem Kinder unter 12 Jahren die Gärten nicht mehr betreten dürfen. Die Grundstückeigentümer legen Beschwerde ein.

Rahel Meier
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Ganze Teerstrassen sind sichtbar in den Gärten.

Ganze Teerstrassen sind sichtbar in den Gärten.

Hanspeter Bärtschi

Während der Sommerferien gab es dicke Post für die Grundstückseigentümer im Derendinger «Elsässli». Der Kanton verschickte fast 30 eingeschriebene Briefe. Darin befand sich die «Verfügung betreffend Schadstoffbelastung der Böden der ehemaligen Arbeitersiedlung ‹Elsässli› und Gefährdungsbeurteilung». Nur gerade zehn Tage blieben, um Beschwerde einzureichen. «Dank der Gerichtsferien hatten wir ein bisschen mehr Zeit und haben rechtzeitig Beschwerde eingereicht und Fristverlängerung für die Begründung verlangt», erklärt Hansruedi Meyer (Präsident der IG Elsässli).

Logische Folge

Der Kanton hat mit dem Ergänzen der Verfügung nachgeholt, was das Verwaltungsgericht im Laufe des Verfahrens bemängelte. «Es hat uns in der Sache gestützt. Wir betrachten die Böden als schadstoffbelastet, nicht aber als Altlast», erklärt Christine Tschan Steffen (Juristin Bau- und Justizdepartement). Demzufolge kommt die VBBo (siehe Kasten) zur Anwendung. Gerügt wurde der Kanton aber, was die Verfügung als solche angeht. Diese sei «zu wenig definiert beziehungsweise gar nicht erlassen worden». Die kantonalen Behörden wurden vom Verwaltungsgericht dazu aufgefordert, verbindliche Nutzungseinschränkungen oder -verbote zu erlassen.

Altlastenverordnung und VBBo stehen sich hier gegenüber

Im juristischen Tauziehen rund um das «Elsässli» stehen sich die Verordnung über Belastungen des Bodens (VBBo) und die Altlastenverordnung (ALV) gegenüber. Je nachdem, welches Recht angewandt wird, sind die Konsequenzen andere.
Kommt die VBBo zum Tragen, können Nutzungsempfehlungen und Nutzungseinschränkungen ausgesprochen werden. Für die Umsetzung und eine allfällige Sanierung sind die Eigentümer zuständig. Handelt es sich um eine Altlast, muss der Verursacher oder der Kanton die Kosten für eine Sanierung tragen. (RM)

Die Verfügung, die der Kanton Ende Juli verschickte, ist der ersten Version sehr ähnlich. «Wir haben nur die Einschränkungen und -verbote klar definiert», so Tschan. «Ausserdem haben wir die Sistierung der Verfahren aufgehoben und alle Grundstückseigentümer angeschrieben.» Nur so könnten alle, die dies möchten, dagegen Beschwerde erheben. «In der Sache selbst haben wir nach wie vor die gleiche Sichtweise», erklärt Tschan, die sich zu einem laufenden Verfahren ansonsten nicht weiter äussern möchte.

Unverständlich für Bewohner

«Die Situation ist für uns alle belastend», erklärt Meyer. Das Hauptproblem liege darin, dass sich die Juristen um Details streiten würden, zwei Verordnungen einander widersprechen «und wir Bewohner stehen mittendrin». Die Stimmung im Quartier sei untereinander nach wie vor gut. «Aber unser Verständnis gegenüber den Behörden wird doch arg strapaziert.»

Nach dem Leitverfahren werden jetzt alle Grundstückseigentümer involviert

Ende Mai 2011 wurde bekannt, dass die Böden der Gärten im Derendinger «Elsässli» mit organischen Schadstoffen und Schwermetallen belastet sind. Bodenuntersuchungen bewiesen, dass die Belastung durch organische Schadstoffe PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) problematisch sind. Für die Verschmutzung werden Teerplatten verantwortlich gemacht. Diese wurden seinerzeit von der Kammgarnspinnerei gratis an die Arbeiter abgegeben.
In der Folge wurde mit der Gemeinde Derendingen, die immer noch vier Grundstücke im «Elsässli» besitzt, ein Leitverfahren durchgeführt und die Verfahren mit den weiteren Grundstücksbesitzern sistiert. In der Verfügung des Kantons wurde festgehalten, dass es sich bei den unversiegelten Böden um chemisch belasteten Boden handelt. Ausserdem sollte ein Grundbucheintrag erfolgen. Diese Verfügung wurde von der Gemeinde Derendingen zuerst vor Verwaltungsgericht und später vor Bundesgericht angefochten.
Nachdem das Bundesgericht nicht auf die Beschwerde eintrat, ging die ganze Sache zurück an das Bau- und Justizdepartement. (rm)

Für die IG Elässli ist klar, dass sie Beschwerde einlegen und das Verfahren bis vor Bundesgericht gezogen wird. 21 von 24 Grundstückseigentümern haben sich zusammengeschlossen und legen gemeinsam Beschwerde gegen die neue Verfügung des Kantons ein. «Wir wollen, dass die Böden als Altlast behandelt werden», so Meyer. Sollte das nicht möglich sein, dann werde beantragt, dass nicht Nutzungsverbote, sondern Nutzungseinschränkungen erlassen werden. Ausserdem soll es keinen Grundbucheintrag geben.

Tatsächlich ist die Verfügung des Kantons sehr drastisch formuliert. Mit der Verfügung wird Kindern unter 12 Jahren der Aufenthalt in den Gärten verboten. Gärtnern darf man nur noch mit körperbedeckender Kleidung, Handschuhen und festem Schuhwerk. Es wird verboten, Nutztiere zu halten, Haustiere dürfen nicht im Garten schlafen. Gleichzeitig steht aber auch geschrieben: «Eine Sanierungspflicht der Gärten besteht nicht. Eine allfällige Wiederherstellung einer unbeeinträchtigten Bodenfruchtbarkeit der schadstoffbelasteten Böden liegt im Ermessen der Grundeigentümer.» Bei Hansruedi Meyer löst dies nur Kopfschütteln aus. «Sollen wir die Gärten zubetonieren?» Dann frage sich allerdings, was noch schützenswert am Arbeiterquartier sei. Ausserdem sei die Schadstoffsituation offenbar seit langem da. «Aber es ist noch nie jemand krank geworden.»

Lösungsvorschlag war da

Auch Gemeindepräsident Kuno Tschumi kommt in Rage, wenn es um das «Elsässli» geht. Die Gemeinde habe sich mit dem Kanton an einen Tisch gesetzt. «Wir haben versucht, eine Lösung zu erarbeiten, mit der wir auf ein weiteres Gerichtsverfahren hätten verzichten können», so Tschumi. Er stellt sich dabei eine Drittelung der Kosten vor: Ein Drittel vonseiten des Kantons, ein Drittel aus der Gemeindekasse und ein Drittel müssten die Eigentümer übernehmen. «Aber bevor diese Lösung überhaupt diskutiert werden konnte, kam die Verfügung.» Die Juristen des Kantons seien sich sicher, dass ihre Sichtweise richtig ist und das Bundesgericht dies bestätigt habe. «Was so nicht stimmt», erwidert Tschumi. Das Bundesgericht habe sich für nicht zuständig erklärt, und die Frage nicht beantwortet.

Tatsächlich beginnt das Verfahren jetzt wieder bei null. Auch die Gemeinde legt Beschwerde ein. «Unsere Begründung haben wir bereits abgeliefert», so Tschumi. Es gebe nur eine einzige Frage, die geklärt werden müsse: Altlast oder belasteter Boden. Die Situation, wie sie sich im «Elsässli» präsentiere, sei einzigartig. «Wir haben hier eine Lücke im Gesetz.» Wenn die Juristen sich nicht einig würden, dann müsse die Politik nach Lösungen suchen. «Meiner Meinung nach sollte diese unsägliche Sache von höchster Stelle beendet werden», macht Tschumi klar. Die Diskrepanz zwischen der Verfügung und der Tatsache, dass es keine Sanierungspflicht gebe, könne sich ein Rechtsstaat nicht erlauben.