Bejubelte Premiere von «La notte di un nevrastenico» und «Gianni Schicchi».
Bei der letzten Tobs-Premiere im 2016 trifft Giacomo Puccinis «Gianni Schicchi» nicht auf einen der beiden anderen Einakter des sogenannten «Il Trittico», sondern auf «La notte di un nevrastenico» von Nino Rota. Ein von Andreas Zimmermann inszeniertes tragisch-groteskes Vergnügen, dessen Handlungsfäden im Totenbett gesponnen werden oder sich um die Bettruhe eines Schlaflosen drehen. Publikumsliebling Michele Govi darf sowohl als Puccini-Schlitzohr wie auch als Rota-Nervenbündel den Pyjama anziehen und dem Opernabend ein Glanzlicht aufsetzen. In beiden Werken ist die Gier des Menschen die Triebfeder. Ein an Lärmempfindlichkeit und Nervosität leidender Mann bucht gleich drei Hotelzimmer, um sich Ruhe und Schlaf zu verschaffen. Doch der gierige Nachtportier (Eric Martin-Bonnet) hat zwei Zimmer an ein Liebespaar (Clara Meloni und Gustavo Quaresma) und einen Schuhfetischisten (herrlich Konstantin Nazlamov) untervermietet. Der Eklat ist vorprogrammiert und Choreograf Félix Duméril lässt für einmal nicht die Puppen, sondern das Hotelpersonal (Nadja Nigg, Shira Agmon, Mkhanyiseli Mlombi, Valentin Vassilev) nach der Pfeife der schlafgestörten Nervensäge Michele Govi tanzen.
Nino Rota (1911–1979) wurde als Komponist des Soundtracks von Klassikern wie «Der Pate» und «Der Leopard» und zahlreichen Fellini-Meisterwerken weltberühmt. Als Opernschöpfer erreichte er nie die Popularität, die er als Filmkomponist genoss. Dabei enthält die 1960 uraufgeführte Buffa um den Neurastheniker einen anregenden Stilmix, der veristisches Operngut, Jazzelemente und Rotas eigene Filmmusiken verbindet.
Der Einakter Gianni Schicchi wurde 1918 an der Met uraufgeführt und gehört zu Giacomo Puccinis (1858–1924) Spätwerk. Auf dem Totenbett liegt der reiche Buoso Donati umringt von seinen nach dem Erbe gierenden Verwandten. Angeführt von Base Zita (Susanna Haberfeld) wird das Testament gesucht und gleich nach dem Auffinden verflucht. Als Retter bietet sich Pfiffikus Gianni Schicchi an, der die Enterbten beraten soll. Der Vater von Lauretta (Clara Meloni) weiss Rat: Die Leiche wird entsorgt, Gianni Schicchi legt sich anstelle des Verblichenen ins Bett und diktiert dem eiligst gerufenen Notar ein neues Testament. Die Nichten und Neffen werden bedacht, doch die Filetstücke des Erblassers wird «mein guter Freund Gianni Schicchi» erben. Damit erschwindelt sich Schicchi (Michele Govi) nicht nur Wohlstand, sondern ermöglich seiner Tochter und Rinuccio (Gustavo Quaresma) die Heirat.
Das karge Bühnenbild von Marco Brehme rückt das von Mario Bösemann und Tino Langmann perfekt ausgeleuchtete Ensemble ins Zentrum. Die von Dorothee Scheiffarth entworfenen Kostüme erinnern an Fellini-Charaktere, schliessen den Kreis zu Nino Rotta, und damit von der Cinecittà zur Opernbühne. Regisseur Andreas Zimmermann verzichtet auf Mätzchen, lässt in Puccinis Ensemble-Oper das Arsenal der Komödientypen individuell agieren: Susanna Haberfeld hält als Grande Dame die Zügel in den Händen, assistiert von ihren «Familienmitgliedern» Konstantin Nazlamov, Nadja Nigg, Eric Martin-Bonnet, Aram Ohanian, Shora Agmon, Mkhanyiseli Mlombi, Yanqiao Shi, Valentin Vassilev, Martin Pulver und Jürg Fankhauser – die zu guter Letzt von Gianni Schicchi übertölpelt werden. Einzig Clara Meloni darf als Lauretta nicht nur Szenenapplaus für die berühmte Sopranarie «O mio babbino caro» einheimsen, sondern ihren mit Tenorglanz ausgestatteten Bräutigam Rinuccio (Gustavo Quaresma) küssen.
Darüber freut sich einer ganz besonders: Michele Govi alias Gianni Schicchi. Der Prachtsbariton und Erzkomödiant brilliert einmal mehr, begeistert rundum. Marco Zambelli gelingt es mit dem Sinfonie Orchester Biel Solothurn, musikalisch zu differenzieren, die Kontraste zu schärfen und Melodienbögen aufblühen zu lassen. Doch zuweilen überflutet der Klang des «Tobs-Puccini-Orchesters» die Akustik des kleinen Stadttheaters schmerzhaft, deckt die Sänger zu, lässt sie forcieren.
Dessen ungeachtet feierte das Solothurner Premieren-Publikum die Protagonisten mit begeistertem Beifall. In der ersten Reihe applaudierte ein Opern-Weltstar: Dame Gwyneth Jones. Die gefeierte Wagner- und Strauss-Sängerin hatte im Jahr 2000 in Solothurn ebenfalls als Puccini-Interpretin Begeisterungsstürme ausgelöst: als Turandot am damaligen Classic Openair.