Dem kleinen Theater am Jurasüdfuss ist erneut ein grosser Wurf gelungen, der für Furore und das Wiederentdecken von Vivaldis Opernschaffen sorgt.
Was für ein Geniestreich von Tobs-Intendant Dieter Kaegi, zum Saisonende eine zeitgenössische Oper im barocken Gewand zu präsentieren, die alle Ingredienzen für spannendes Musiktheater vereint: Virtuose Musik, Amouren, Leidenschaft, Eifersucht, Verrat und Tod.
Vivaldi-Drive und Sex als Machtmittel für fiese Ränkespiele machen nämlich das Wesen der neuen Oper «Les liaisons dangereuses» aus. Dirigent Facundo Agudin und das Sinfonieorchester Biel-Solothurn überzeugten mit einem gut ausbalancierten Klang-Relief, während ein venezianischer Palazzo (Herbert Janse) als ästhetische Kulisse für das unmoralische Geschehen protzt.
Kurtisanen und Loverboys gehörten zum Alltag des französischen Hofes. Ein Tummelbecken für erotische Raffinesse, politische Intrigen und Skandale – bis die Französische Revolution dem dekadenten Adelstreiben ein Ende setzte.
Eine Epoche, die als Fundgrube für Literatur und Oper noch heute bühnentaugliche Stoffe liefert, wie die Gemeinschaftsproduktion der Kompany OPERA2DAY von Regisseur Serge van Veggel und Tobs (Theater Orchester Biel-Solothurn) beweist.
Das Libretto von Stefano Simone Pintor orientiert sich an Choderlos de Laclos 1782 publizierten Briefroman «Gefährliche Liebschaften», die Partitur an Opernarien von Antonio Vivaldi (1678-1741) sowie Rezitativen und Arrangements von Vanni Moretto (*1967). Daraus ist ein faszinierendes Pasticcio, eine «zeitgenössische Barockoper», entstanden.
Kein Widerspruch, sondern der Wille, mit musikalischen Anleihen und aktualisierter Literatur etwas Neues zu schaffen. Die Regie zieht mit, lässt «Chevalier Danceny» nackt aus der Badewanne steigen, illuminiert einen Sakralraum durch die (blasphemische) Passion Christi. Das «Oben» und «Unten» der Gesellschaft wird in den originellen Kostümen von Mirjam Pater ausgedrückt.
Vivaldis Opern eignen sich gut als musikalische Grundlage, da sie im Gegensatz zu seinen Orchesterwerken relativ unbekannt geblieben sind. Vanni Moretto wählte und überarbeitete die Arien geschickt, schreckte in den dazu komponierten Rezitativen vor Disharmonien nicht zurück. Letzteres birgt grosse Herausforderungen an im Barockgesang geschulte Stimmen.
So neigte Candida Guida zu rauen Registerwechseln, die nicht ihrem Alt, sondern dem Notentext geschuldet sind. Mit «geläufiger Gurgel» servierte die Protagonistin halsbrecherische Koloraturen, genoss als Drahtzieherin des Dramas weniger die sinnliche Ekstase als vielmehr das Zelebrieren des abgrundtief Bösen, Verdorbenen.
Zumal sie als Marquise de Merteuil ihren ehemaligen Geliebten, Vicomte de Valmont (Ingeborg Bröcheler), anstiftet, die jungfräuliche Braut Cécile (Marion Grange) zu schwängern, Chevalier Danceny (Maayan Licht) zu hintergehen und Madame Prèsidente de Tourvel nicht nur zum Ehebruch zu verführen, sondern in den Wahnsinn zu treiben.
In der am Sonntag besuchten Vorstellung fiel Inès Berlet als Madame de Tourvel krankheitshalber aus und wurde durch Sopranistin Annina Haug ersetzt, die den Part vom Orchestergraben aus sang, während Christine Meer-Lanz mit stummem Spiel den Bühnencharakter zeichnete.
Countertenor Maayan Licht stach aus dem Ensemble heraus, sang mit glasklaren Höhen und geschmeidigen Verzierungen, bewegt in lyrischen Momenten, machte auch als Nakedei «Bella Figura». Marion Grange und Ingeborg Bröcheler sangen ihre Parts solide und klangschön.