Nach dem Schweizer Rekordsommer: Hat der Wintertourismus noch eine Chance?

Abende in der Gartenbeiz, Ausflüge an Seen und Übernachtungen in Bergherbergen: Der heisse Sommer hat dem Tourismus einen Höhenflug beschert. Umso mehr zittern die Hoteliers nun vor dem bevorstehenden Winter.

Niklaus Vontobel
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Ausflügler geniessen einen Herbsttag über dem Nebelmeer auf dem Stanserhorn. (Bild: Urs Flüeler/Keystone)

Ausflügler geniessen einen Herbsttag über dem Nebelmeer auf dem Stanserhorn. (Bild: Urs Flüeler/Keystone)

Der Sommer 2018 brachte der ganzen Schweiz die höchsten durchschnittlichen Temperaturen seit 150 Jahren. Den Herbst 2018 wird Meteo Schweiz erst noch einordnen müssen, doch zumindest im September wurden abermals Rekordwerte erreicht. Im Alltag war der Herbst bloss eine leicht kühlere Fortsetzung des Sommers.

Sommer 2018: Eine Zeit der Extreme

Der ewige Sommer 2018 war eine Zeit der Extreme. Äpfel gab es in Rekordmenge. Kirschen, Zwetschgen und Weintrauben wuchsen im Überfluss. Bauern musste Rinder notschlachten: Die Trockenheit liess die Wiesen verdorren. Kinos beklagen einen Sommer zum Vergessen. Kaum jemanden zog es in dunkle Säle. Alles drängte in die Natur: die Bergbahnen hatten ein Gästeplus von fast 20 Prozent. Im Rhein ist das Wasser zu knapp, die Containerschifffahrt wurde eingestellt. Bei Basel ist die Strömung so schwach, dass der Fährimann kräftig rudern muss.

Im Tourismus weiss vom 5-Sterne Hotelier bis zum Quartierbeizer jeder um den Einfluss des Wetters. Doch finanziellen Sonnenschein brachte der ewige Sommer 2018 längst nicht allen. Casimir Platzer, Präsident des Branchenverbands Gastrosuisse, sagt: «Der Sommer war hervorragend, aber Verlierer gab es auch.» So habe manches Hotel oder Restaurant gelitten unter der grossen Flucht der Gäste vor der Hitze, dem Drang ans Freie oder ins Wasser. Badeanstalten und Strände waren überfüllt, Betriebe ohne attraktives Aussenangebot blieben oft leer. «Gerade in den Städten war das schöne Sommerwetter nicht förderlich: die Menschen wollten in die Natur.»

Leiden unter der Hitze

Für die Hotellerie war es jedoch ein Rekordsommer, der sich in den Logiernächte-Zahlen des Bundesamts für Statistik niederschlug. 2018 war sozusagen die Fortsetzung der Sommerwende, die der Schweizer Hotellerie bereits 2017 gelang. Damals ging es nach langen Jahren der Stagnation endlich wieder aufwärts mit dem Sommergeschäft in den Monaten Juni, Juli und August. Im Sommer 2018 hatte die Hotellerie bereits um die zehn Prozent mehr Übernachtungen als in jenen Seuchenjahren vorzuweisen.

Doch zeigen auch die Statistiken, was Gastrosuisse-Präsident Platzer sagt: Es erging nicht allen gleich gut in der sommerlichen Hitze. Graubünden etwa hat zwar erneut zugelegt bei den Logiernächten. Der Tourismuskanton liegt aber weiter zurück hinter jenen Jahren, als die Deutschen noch treue Stammgäste waren. Luzern und die Kantone am Vierwaldstättersee hingegen sind schon länger Überflieger: Die Hotellerie hat mittlerweile bereits zehn Prozent mehr Übernachtungen als vor der Frankenaufwertung. Diesen Sommer ging es weiter aufwärts, den chinesischen Gästen sei dank.

Angst vor dem Winter

Die Gastronomie hat derzeit ohnehin konjunkturellen Aufwind. Nach zwei schwierigen Jahren wuchs die Branche bereits im Vorjahr erstmals wieder. Mitte diesen Jahres gelang eine spektakuläre Jobwende: 12'000 neue Stellen entstanden im Vergleich zum Vorjahr. Das war ein Plus von rund 5 Prozent, und damit mehr Jobwachstum als in allen anderen Branchen.

Im Tourismus, vor allem in den alpinen und ländlichen Regionen, gehen die Gedanken allerdings bereits der Wintersaison entgegen. Die Nervosität ist gross. Die Exponenten der Branche schlagen zunehmend alarmistische Töne an. Nach dem schneereichen Winter 2017/2018 hatte die Marketingorganisation «Schweiz Tourismus» noch eine Wende vermeldet: «Die achtjährige Durststrecke ist überstanden». Das war gewichtigen Stimmen zu voreilig. «Von einer Trendwende kann nicht die Rede sein», kam es barsch zurück vom Schweizerischen Tourismusverband und der Arbeitsgemeinschaft der Berggebiete (SAB).

«Viele Betriebe sind zu klein, um rentabel zu sein»

Im September sprachen dann sieben touristische Verbände geschlossen bei Johann Schneider-Amman vor. Die Lagebeurteilung, die sie dem Wirtschaftsminister vorlegten, lässt sich einem Positionspapier entnehmen. Die touristische Wertschöpfung verschiebe sich hin zu den städtischen Gebieten, weg aus den alpin-ländlichen Regionen. Dort leide der Tourismus unter einer strukturellen Schwäche. «Viele Betriebe sind zu klein, um rentabel zu sein.» Die Preise seien um bis zu 20 Prozent zurückgegangen, die Gästezahlen zuletzt so tief wie seit 25 Jahren nicht mehr. «Die Abwanderung nimmt zu.»

Mitte Oktober sprachen rund 300 Fachleute aus der Seilbahn-Branche und dem Tourismus über «ihre Perspektiven». Offenbar musste man sich gegenseitig Mut zu sprechen. «Die Exponenten waren sich einig, dass der Wintertourismus in der Schweiz sehr wohl Chancen habe», hiess es in der Medienmitteilung. Mit anderen Worten stellt sich diese Frage heutzutage im Tourismusland Schweiz tatsächlich: Hat der Wintertourismus noch eine Chance?

Der «Alptraum in den Alpen»

Am Stelldichein der Tourismusexperten werden grosse Fragen aufgeworfen. Die Gebirgskantone stünden unter Druck. Sie würden langsamer wachsen als das Unterland, in gewissen Tälern komme es zur Entvölkerung. «Ist diese Entwicklung ein nicht aufzuhaltender Prozess? Oder sollte das weitere Schrumpfen von dünn besiedelten Bergregionen mit Subventionen verhindert werden?»

Nach langen Jahren der touristischen Krise in den alpinen und ländlichen Regionen ist offenbar eine Zeit des Zweifelns angebrochen. Das «Wirtschaftsforum Graubünden», ein regionaler Thinktank, hat eine Initiative mit dem Titel «Alptraum» gestartet. Der Tourismus werde in den Berggebieten allenfalls nicht mehr flächendeckend als wirtschaftliches Rückgrat wirken. «Ohne grundlegende Veränderungen könnte dem Bündner Berggebiet ein wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Alptraum drohen.»

Kreative Ideen sind gefragt

Schweiz Tourismus spricht nicht mehr von einer Wende. Die Marketingorganisation, die eigentlich gute Stimmung verbreiten soll, hat selber eine Wende vollzogen. An der alljährlichen Winterkonferenz wird Direktor Martin Nydegger einen Vortrag halten zu den «Neuen Realitäten im Wintertourismus». In der Einladung heisst es, die ausgezeichnete letzte Saison bedeute nicht, dass der Wintertourismus über den Berg sei. «Ganz im Gegenteil, die Herausforderungen sind so gross wie nie zuvor.» Die Frage nach der Zukunft des Wintertourismus sei für die ganze Schweiz zentral.

Gastrosuisse Präsident Casimir Platzer hatte geschäftlich gesehen Freude am Sommer 2018. «Der alpine Raum hatte dank dieses wunderschönen Wetters eine gute Saison, was auch nötig war. In den letzten Jahren hatten die Berggebiete klar verloren.» Aber mit Blick auf den Winter könne die klimatische Erwärmung natürlich zum Nachteil werden. «Wenn es im Winter keinen Schnee mehr gibt, werden die Bergregionen noch ein paar kreative Ideen brauchen.»