Das Rahmenabkommen steckt fest – Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wird das Dossier wohl seinem Nachfolger übergeben müssen.
Der Brexit, die EU-Wahlen Ende Mai, die Parlamentswahlen im Oktober: Im Hinblick auf diese Weichenstellungen sei es besser, beim Rahmenabkommen «erst mal abzuwarten», sagte Bundespräsident Ueli Maurer kürzlich am Rande einer Veranstaltung in Zürich. Die Schweiz dürfe sich in den Verhandlungen nicht drängen lassen.
Tatsächlich verdichten sich die Anzeichen, dass der Bundesrat auch nach Abschluss der Konsultation im Sommer bloss eine weitere «Auslegeordnung» vornehmen wird. Das Dossier «Rahmenabkommen» dürfte dann dem neuen Kommissionspräsidenten in die Hände fallen, der frühestens am 1. November seine Funktion in Brüssel aufnehmen wird. Der amtierende Kommissionschef und selbsterklärte «Freund der Schweiz» Jean-Claude Juncker warnte vor diesem Szenario: «Verhandeln Sie mit mir, schliessen Sie mit mir ab», riet er in seinem bislang einzigen Interview mit einem Schweizer Medium im vergangenen September. Andernfalls könnte es «richtig schlimm werden», erklärte Juncker.
Aber stimmt das? Wie halten es Junckers potenzielle Nachfolger mit der Eidgenossenschaft?
Der Deutsche Manfred Weber ist Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP). Als Bayer mit Hang zur Volkstümlichkeit könnte man meinen, der 46-Jährige habe eine natürliche Affinität zur Schweiz. Das dem nicht so ist, machte Weber bei einem kürzlichen Wahlkampfauftritt in Deutschland klar: «Wenn Schweizer auf dem Frankfurter Flughafen landen, stellen sie sich in die Schengen-Schlange und nicht zu den EU-Ausländern. Daheim schimpfen sie dann wieder auf die EU», stänkerte Weber gemäss der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung». Als Kommissionspräsident werde er solches Verhalten «nicht länger dulden». Das sind klare Worte, und sie decken sich gemäss Insidern mit dem Bild der «Rosinenpicker», das Weber von den Schweizern auch bei anderer Gelegenheit kultiviere. Böse Zungen hingegen behaupten: Der CSUler sei bloss neidisch, dass es dem eigensinnigen Nachbarn auch ohne Mitgliedschaft im EU-Verein so gut gehe.
Die liberale Margrethe Vestager hat sich einen Ruf als kompromisslose Verteidigerin des EU-Wettbewerbsrechts geschaffen. Steuerrabatte an internationale Unternehmen zur Aufbesserung der Standortattraktivität? Heimatschutz für lokale Firmen über grosszügige Subventionen? Da versteht die 50-jährige Dänin keinen Spass. Das «Level Playing Field», also die gleichlangen Spiesse für alle, ist die Arbeitsmaxime der Wettbewerbskommissar. Das dürfte die Schweiz bei einer Aktualisierung des Freihandelsabkommens 1972, wie im Rahmenabkommen vorgesehen, zu spüren bekommen. Zu Vestagers Leistungsausweis gehört auch, gerne mal ein Exempel zu statuieren, wie man bei den US-Tech-Giganten Apple oder Google sieht. Ausserdem: Das Team von Vestager ist jung, dynamisch und gehört einer neuen Generation von EU-Beamten an. Europäer vom alten Schlag wie Juncker, die noch ein gewisses Verständnis für die historisch gewachsene Schweizer Situation hatten, gibt es darunter keine mehr.
Der Brexit-Chefverhandler Michel Barnier ist zwar nicht offiziell Kandidat. In Brüssel ist es aber jedem ersichtlich, dass sich der 68-Jährige im Kampagnenmodus befindet. Würde er Kommissionspräsident werden, könnte die Schweiz ihre Forderungen nach Zugeständnissen definitiv einpacken. Barnier und seine Berater könnten als das durchgehen, was der ehemalige Preisüberwacher und SP-Ökonom Rudolf Strahm wenig schmeichelhaft als «Binnenmarkt-Kampfhunde» beschrieben hat. In der «Barnier-Doktrin» gibt es zwischen einer engen Anbindung im Rahmen des EWR und einem nackten Freihandelsabkommen à la Kanada kaum Extrawürste im Angebot – das gilt für die Schweiz ebenso wie für das Vereinigte Königreich. Dass der Savoyarde als Mann aus den Alpen den Schweizern kulturell im Prinzip nahestehen müsste, ist ein schwacher Trost. Barnier ist nämlich auch Franzose – und die waren der Schweiz bei der Verteidigung ihres Sonderwegs nun wirklich selten eine Hilfe.
Ein ausgebauter Arbeitnehmerschutz soll dem Niederländer Frans Timmermans zwar durchaus ein Herzensanliegen sein. Im Kampf um die flankierenden Massnahmen dürfte dies der Schweiz aber nicht viel helfen: Als Mitglied der serbelnden Sozialdemokraten ist der 57-jährige Kommissionsvize faktisch ohne Chance für die Juncker-Nachfolge. Zu rechnen ist höchstens damit, dass er den Posten von Federica Mogherini als EU-Aussenbeauftragte erben wird. In Sachen Schweiz hatte diese aber noch nie etwas zu sagen.