Beat Dietschy geht nach neun Jahren als Zentralsekretär bei der Entwicklungsorganisation «Brot für alle» in Pension. Heute Freitag wird er an einer Tagung in Bern zum Thema «Hunger, Wut und Wandel» offiziell verabschiedet.
Aufgeräumt wie der Mann selbst wirkt auch sein Büro im Berner Quartier Sulgenau. Kante auf Kante stehen schmale Aktenkartons auf dem Fensterbrett. Umzugsbehältnisse fürs Archiv. Noch wenige Tage, dann sagt Beat Dietschy seinem Team hier Adieu und übergibt sein Büro an den 44jährigen Bernard DuPasquier, seit Anfang Monat sein Nachfolger. Zwölf Jahre, erst als Leiter Information und Bildung, ab 2007 als Zentralsekretär, hielt Beat Dietschy bei «Brot für alle» das Zepter in der Hand.
Der 1950 in Basel Geborene studierte evangelische Theologie und Philosophie in Basel, Zürich und Tübingen. Geprägt durch seinen weitgereisten Vater, einen Ethnologen und Südamerika-Spezialisten, interessierte sich Beat Dietschy schon früh für die Welt da draussen. «Mein Vater besass neben zahlreichen gesammelten Gegenständen von seinen Reisen eine gut bestückte Bibliothek. Die Ferne, das Abenteuer zogen mich an, ich wollte einfach über das hinausschauen können, was ich schon kannte.»
Die Art der Glaubens- und Religionsvermittlung stiess bei dem jungen Ungestümen auf Unverständnis. Er schüttelt noch heute vehement den Kopf, wenn er davon erzählt. Seine Mimik, die während des Gesprächs zwischen abweisend und leidenschaftlich changiert, verdüstert sich. «Ich wollte einfach nicht einsehen, dass es nur dieses europäisierte und domestizierte Christentum geben sollte oder durfte.» Das Buch «Atheismus im Christentum» von Ernst Bloch liess ihn aufhorchen. Da waren sie, die offen gestellten Fragen. Er war – damals bereits Student – an einen Denker geraten, der es wagte, hinter die Überformungen zu schauen.
Er vertiefte sich in das Werk des deutschen Philosophen und schrieb ihm eines Tages «aus dem Bauch heraus» einen Brief mit der Bitte um ein Gespräch. Bloch, damals schon hochbetagt, reagierte umgehend und lud Dietschy in einem von Blochs Ehefrau Karola verfassten Antwortschreiben zum Nachmittagstee in Tübingen ein. In der Folge wurde Dietschy 1976 bis 1977 Ernst Blochs Assistent und arbeitete in dieser Zeit an dessen Ergänzungsband zur Gesamtausgabe der Werke «Tendenz-Latenz-Utopie».
Die Lust, die Welt da draussen besser zu verstehen, die Angst vor dem Fremden zu überwinden und das Bedürfnis, nach den Hintergründen des Ungleichgewichts zwischen den Ländern des Nordens und den Armutsregionen der Welt zu fragen, wurden zu Dietschys Antriebsfedern.
Nach einigen Jahren als Assistent an einem Forschungsprojekt an der theologischen Fakultät in Basel und nebenher als Redaktor bei Radio DRS tätig, entschied sich der inzwischen Verheiratete für einen mehrjährigen Aufenthalt in Peru. Die Entwicklungshilfe in der Dritten Welt, in den 1980er-Jahren nicht selten nach postkolonialen Massstäben geleistet, öffnete ihm die Augen dafür, «wie man es nicht machen sollte». Und er fügt an: «Wenn ich manchmal kritisch bin, dann gegenüber dem Überstülpen vorgefasster Konzepte von <Entwicklung>. Das ist die Fortsetzung von Entmündigung und Kolonialismus.» Niemand sei davor gefeit, vor lauter gutem Willen das Gegenteil des Gewünschten zu erreichen.
Wie in zahlreichen anderen Ländern des Südens hatten auch in Peru Eroberer, Christianisierung und Diktaturen dazu beigetragen, einheimische Völker und Kulturen ihrer Identität und Würde zu berauben.
Dietschy leitete nach seiner Rückkehr kurzfristig ein Bildungszentrum und wurde 1993 an die Arbeitsstelle für Ökumene, Mission und Entwicklungszusammenarbeit nach St. Gallen berufen. «Ich musste nicht viel von dem ablegen, was ich früher tat», sagt Dietschy. In die ökumenischen Kampagnen, die er in der Ostschweiz lancierte, in die Fragen zu Flüchtlings- und Asylwesen und in das von ihm gegründete Forum gegen Rassismus habe er einbetten können, was sich bei ihm längst als wichtigste Erkenntnis herauskristallisiert hatte: «Nachhaltige Entwicklung setzt die Transformation unseres Denkens voraus. Das heisst, wir müssen den Pfad des Überkonsums verlassen, um aktiv Raubbau an den Ressourcen des Planeten und Ausbeutung in den Ländern des Südens zu vermindern.»
Bei seinem Stellenwechsel zu «Brot für alle» im Jahr 2003 stand denn auch diese Ausrichtung zuoberst auf seiner Agenda. Und er führte mit seinen heute 37 Mitarbeitenden weiter, was sein Vorgänger Christoph Stückelber- ger mit den Akzenten zur Bekämpfung von Korruption und zu Fragen des ethischen Welthandels begonnen hatte. «Wir sind aber kein Hilfswerk», präzisiert der 65-Jährige. «Brot für alle» setze seine Schwerpunkte auf die Entwicklungspolitik und ökumenische Kampagnen, wobei das «Recht auf Nahrung» im Zentrum stehe.
Das Hauptaugenmerk legt «Brot für alle» auf Firmen, die mit den Ländern des Südens handeln, dort produzieren oder produzieren lassen: «Es geht darum, dass Textil-, Elektro- und Kohleindustrie und auch die Nahrungsmittelbranche wie Nestlé mit offenen Karten spielen.» Aktuell betrifft dies etwa die Rohstoffhandelsfirma Vitol mit Hauptsitz in Genf. «Brot für alle» hat die Firma mit den Ergebnissen der Recherchen zu menschenrechtlichen und umweltpolitischen Aspekten konfrontiert, aus denen klar hervorgeht, dass die Firma ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat. Oft werde bagatellisiert und ausgewichen, schildert Beat Dietschy. Doch mit der in diesem Frühling gestarteten «Konzernverantwortungs-Initiative» sollte dieses Ausweichen künftig heikler werden. Dietschy plädiert für eine gesunde Balance zwischen Empörung und Demut. Resignation würde bedeuten, sich aus der Verantwortung zu ziehen.