Vielen Firmen sind Verträge egal

Der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse warnt in seiner Kampagne zur Personenfreizügigkeit vor der Guillotine. Doch seine Mitglieder halten die restlichen Abkommen der Bilateralen I gar nicht für besonders wichtig.

Stefan Schürer
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Bilaterale Verträge mit der EU: Die Wirtschaft steht vor allem hinter der Personenfreizügigkeit.

Bilaterale Verträge mit der EU: Die Wirtschaft steht vor allem hinter der Personenfreizügigkeit.

Die Angst vor der Guillotine geht um. Lehnt das Volk am 8. Februar die Weiterführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit ab, stehen die übrigen sechs Abkommen der Bilateralen I gemäss Bundesrat vor dem Aus. Die Botschaft des Ja-Lagers ist deshalb klar: Am Abstimmungssonntag geht es um mehr als die Personenfreizügigkeit. Doch die Bedeutung der restlichen Abkommen ist umstritten.

Zahlreiche Unternehmen beurteilen das Paket jedenfalls zurückhaltend, wie eine Umfrage des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse bei seinen Mitgliedern zeigt. Nur gerade ein Vertrag wird von der Mehrheit positiv bewertet (siehe Grafik). Den anderen Abkommen stehen die befragten Unternehmen mit jeweils über 50 Prozent «neutral» gegenüber, wie es im Papier von Economiesuisse heisst. Insbesondere die Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens fällt bei der Wirtschaft durch. Bloss 27 Prozent schätzen die bisherigen Erfahrungen mit dem Abkommen positiv ein.

Ein Grund für die verhaltene Zustimmung liegt auf der Hand. Die Abkommen betreffen nur einzelne Branchen. «Nicht jedes Abkommen der Bilateralen Verträge ist für jedes Unternehmen relevant», erklärt Jan Atteslander, Geschäftsleitungsmitglied von Economiesuisse. Für die direkt betroffenen Branchen seien die Abkommen aber von existenzieller Bedeutung. Vor diesem Hintergrund erachtet Atteslander selbst eine Zustimmungsrate von 27 Prozent als beachtlich.

Zwischentöne des Bundes

Doch nicht nur die Schweizer Wirtschaft hält sich in ihrem Urteil zurück. Auch verschiedene Bundesstellen relativieren den Nutzen der Abkommen für die Wirtschaft.

• Beispiel Liberalisierung des öffentlichen Beschaffungswesens: Das Abkommen verschafft der Schweizer Wirtschaft auf dem Papier den Zugang zum EU-Beschaffungsmarkt. Zugleich soll die Bevorzugung regionaler Unternehmen bei der Vergabe öffentlicher Aufträge eingedämmt werden. In der Praxis scheint das Abkommen allerdings bedeutungslos geblieben zu sein. Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) schreibt in der Zeitschrift «Die Volkswirtschaft», Schweizer Unternehmen würden «nicht vermehrt an Submissionsverfahren im europäischen Ausland teilnehmen». Und die Auftragsvergabe in der Schweiz erfolgt gemäss Seco «nach wie vor meist an regionale Anbieter».

• Beispiel Landverkehrsabkommen: Zwar schreibt das Bundesamt für Verkehr (BAV) in der «Volkswirtschaft», die Zulassung von 40-Tonnen-Lastwagen und die Einführung der leistungsabhängigen Schwerverkehrsabgabe (LSVA) hätten sich «indirekt positiv auf die Wettbewerbsfähigkeit der schweizerischen Volkswirtschaft» ausgewirkt. Gleichzeitig macht das BAV klar, wer in erster Linie von der Verlagerungspolitik profitiert: die Umwelt. Ohne Landverkehrsabkommen wären 2006 rund 400 000 Lastwagen zusätzlich über die Alpen gefahren.

• Beispiel Luftverkehrsabkommen: Der Vertrag regelt die gegenseitige Öffnung im Luftverkehr. Sein Gewicht ist aber unklar. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt hält in der «Volkswirtschaft» fest, es sei «äussert schwierig», die Effekte des Abkommens «eindeutig zu identifizieren und zu bemessen».

«Volkswirtschaftlich zentral»

Bei Economiesuisse geben diese Untersuchungen jedoch keinen Anlass zu Zweifel. «In ihrer Gesamtheit sind die Abkommen volkswirtschaftlich zentral», sagt Atteslander. Ihr Nutzen zeige sich schon jetzt. Atteslander verweist etwa auf die anlaufenden Konjunkturprogramme in der EU. «Dank dem besseren Zugang zum EU-Beschaffungsmarkt können Schweizer Unternehmen profitieren.»

Im Moment allerdings stösst einzig das Abkommen über die Beseitigung technischer Handelshemmnisse bei den Economiesuisse-Mitgliedern mehrheitlich auf Zustimmung. Gemäss Seco spart die Exportindustrie dank dem Wegfall von Zulassungsprüfungen in der EU jährlich bis zu 500 Millionen Franken ein. Zudem profitieren die Konsumenten von verbilligten Importen. Doch selbst dieses Abkommen stellt bloss einen Zwischenschritt dar, da es auf wenige Sektoren beschränkt ist. Der Bundesrat will deshalb unilateral sämtliche Produkte, die in der EU zugelassen sind, zum Import in die Schweiz freigeben.